Die Welt, 8.3.13, von Johnny Erling –
Vertreter des Autonomen Gebiets Tibets haben in Peking Journalisten zu einem „Tag der offenen Tür“ eingeladen. Dabei schoben sie dem Dalai Lama die Schuld für Selbstverbrennungen von Tibetern zu.
In den langen Fluren der Grossen Halle des Volkes in Peking, wo sich Chinas Parlament zur Neuwahl der Regierung versammelt hat, sind ein halbes Dutzend Wegweiser aufgestellt. Am Abend zuvor wurden Pekings Auslandskorrespondenten informiert, dass sie der Aussprache der tibetischen Delegation zuhören und Fragen stellen dürfen.
Pekings Behörden reagieren gereizt, wenn sie um Auskunft gebeten werden, warum sich seit 2009 mehr als 100 Tibeter aus Protest gegen die Unterdrückung ihrer Relegion und der Ächtung des Dalai Lamas verbrannt haben; sie erlauben den Journalisten aber, die Abgeordneten anzusprechen.
Der Weg zu ihnen in den „Tibetsaal“ im dritten Stock ist in Chinesisch und Englisch beschriftet. Die Behörden hatten es so eilig, dass auf den Schildern in falschem Englisch „Tiebet“ steht.
Bei Tibets Tag der offenen Tür heisst die Botschaft allerdings nicht, dass Chinas neue Parteiführung einen Neuanfang über einen Dialog mit dem seit 1959 im indischen Exil lebenden Dalai Lama sucht. Eher das Gegenteil: Peking fährt in seiner Tibet-Politik weiter einen harten Kurs.
Kampf gegen die „Spalter“ der Region
20 Abgeordnete vertreten das Autonome Gebiet Tibet. Ihre nach der Namensliste ranghöchsten Vertreter, der zur Delegation gehörende Politbürofunktionär Wang Huning und der neue Parteisekretär der Kommunistischen Partei in Tibet, Chen Quanguo, bleiben der presseöffentlichen Sitzung fern.
Dafür dürfen drei Tibeter das Wort führen: Losang Jamcan, der neue Regierungschef der Region, sowie Padma Choling und Xiangba Puncog, beide Vizeparteisekretäre in Tibet. 20 Minuten referiert Losang über wirtschaftliche Erfolge, die innerhalb von zehn Jahren eine Million der insgesamt drei Millionen Tibeter aus ihrer Armut herausgeholt hätten; und über das Ziel, bis 2020 die Region relativ wohlhabend zu machen.
Auch die wichtigsten Entwicklungsschwerpunkte skizziert er. Zu ihnen gehört ausgerechnet auf dem dünn besiedelten Dach der Welt auch die Urbanisierung. Dann kommt er zum Punkt: Entwicklung werde zum „leeren Wort, wenn es keine politische Stabilität gibt“. Sie stehe an erster Stelle aller Aufgaben.
„Wir bekämpfen alle Spalter und Sabotageaktionen“, betonte Losang – und natürlich die „Dalai-Lama-Clique“. „Wir hüten die Harmonie unter den Minderheiten so wie unsere eigenen Augen.“
Vizeparteichef verheddert sich bei Antworten
Fünf Jahre sind vergangen, seit während des Volkskongresses im März 2008 blutige ethnische Unruhen in der tibetischen Hauptstadt Lhasa ausbrachen, die weltweite Schlagzeilen machten. Der tragische Jahrestag wird nicht erwähnt.
Als Folge zog Peking seine Zügel über Tibet an, disziplinierte die Mönche in den Klöstern über patritiotische Erziehungskampagnen und verfügte ein Besuchsverbot in Tibet für Pekinger Auslandskorrespondenten. Chinas Regierung machte damals den Dalai Lama für den Ausbruch der Unruhen verantwortlich – ebenso, wie sie ihm heute die Schuld für die seit 2009 mehr als 100 Protest-Selbstverbrennungen von Tibetern in die Schuhe schieben will.
Choling beschuldigt die „Dalai-Lama-Clique“, von Indien aus Tibeter nicht nur zu Selbstverbrennungen zu ermutigen – sondern auch treibende Kraft hinter diesen zu sein. Als ihn ein indischer Journalist fragt, ob China Beweise hat und sie der indischen Regierung vorlegen könnte, verheddert der Vizeparteichef sich bei seinen Antworten: „Wir haben Beweise.“ Es sei nicht nötig, „sie erst vorzulegen, um dann gemeinsam gegen Selbstverbrennungen vorzugehen“.
Tibets Regierungschef Losang assistiert ihm: Diese Taten seien „unmoralisch und inhuman. Andere zu Selbstverbrennungen anzustiften ist noch inhumaner.“
Per Schnelljustiz als „Mörder“ angeklagt
Chinas Justiz produziert „Beweise“ nach ihrer Art. Sogenannte Anstifter oder Unterstützer unter den Mönchen und Tibetern, die Kontakt mit den sich Verbrennenden hatten, ihnen halfen oder Fotos machten und weiterverbreiteten, werden als Täter verfolgt.
Manche sind in Schnelljustiz als „Mörder“ oder des vorsätzlichen Totschlages angeklagt und bestraft worden. Schwerster Fall war der am 31. Januar durch ein Sichuaner Gericht zur aufgeschobenen Todesstrafe verurteilte 40 Jahre alte Mönch Lorang Konchok aus dem Kirti-Kloster in Aba (Sichuan). Er habe acht Tibeter zur Selbstverbrennung angestiftet.
In TV-Videoaufzeichnungen gestehen die Beschuldigten. Chinas Regierung nennt das Kirti-Kloster einen Hort des Widerstands. Abgeordnete aus Sichuan werfen am Rand des Volkskongresses dem elften Lebenden Buddha und Abt von Kirti, Lobsang Gyatso, vor, Hauptanstifter für eine Vielzahl von Selbstverbrennungen von Kirti-Mönchen zu sein. Der Abt floh schon frühzeitig nach Indien.
„Jeder weiss doch, was hier gespielt wird“
Obwohl alle tibetischen Redner am Freitag in Peking die Journalisten einladen, sich vor Ort ein Bild des harmonischen Tibet zu machen, ist das eine leere Geste: Denn seit 2009 dürfen ausländische Korrespondenten nicht mehr nach Lhasa reisen. Sie sind auf offizielle Nachrichten Chinas oder der Exiltibeter angewiesen.
Peking erlaubte zudem weder eine öffentliche, unabhängige oder gar internationale Untersuchung der Selbstverbrennungen, die im Februar 2009 mit dem Tod eines Mönches aus dem Kloster Kirti begannen. Tabuthema ist auch was im Kloster Kirti einst vorfiel. Einige Mönche verbrannten sich unter Protestrufen als Zeichen gegen Unterdrückung – und für eine Wiederkehr des Dalai Lamas.
Auch der Vizeparteisekretär Tibets, Xiangba Puncog, beschuldigt den Dalai Lama und das Ausland. Auch wenn sie nicht alle Anstifter seien, hätten sie die Opfer von Selbstverbrennungen dazu ermutigt, weil sie als Helden verherrlichten.
Zu Selbstverbrennungen sei es nur in tibetischen Gebieten in den Randprovinzen in wenigen der über 10.000 tibetischen Klöster gekommen. Unter 46.000 Mönchen und Nonnen im tibetischen Hochland hätte es keinen Fall gegeben. „Jeder weiss doch, was hier gespielt wird.“
Spezialteams auf dem Platz der Revolution
Das kann jeder aber auch etwas anders sehen. Die von der tibetischen Delegation verteilten Presseinformationen feiern, dass Mönche und Nonnen heute sozial versichert seien.
Alle 1700 Klöster auf dem Dach der Welt hätten jetzt auch „alle neun“. Gemeint sind mit dieser Zahl nicht nur etwa Strom-, Wasser- und Fernseh-Anschluss sowie Verkehrsanbindungen, sondern auch, dass in jedem Kloster die Fotos der „Staats- und Parteiführer“ hängen und davor die Staatsfahne weht. Bilder des Dalai Lama aufzuhängen, ist dagegen verboten.
Wie blank beim Thema der Selbstverbrennungen die Nerven Pekings liegen, zeigt ein Blick vom Fenster des dritten Stocks im Volkskongress: Auf dem Tian’anmen-Platz exerzieren am Freitag mobile Spezialteams der Feuerwehr, so wie schon im Rahmen des Parteitags im November.
Sie sollen sofort löschen und retten, falls es einem Tibeter oder einem anderen Demonstranten gelingt, sich auf dem Platz der Revolution als Fackel des Protests anzuzünden.
„Fackel des Protests“ was für ein zynisches Wort für die Kinder, die sich im Namen eines Fremden das Leben nehmen. Diese „Mönche“ sind kaum 20 Jahre alt, komplett ungebildet, und meist in Klöstern erzogen worden. Sie haben keine Ahnung, was ihnen das Leben für Möglichkeiten böte.
Ich finde es gut, dass hier immerhin mal geschrieben wird, dass China einige Anstifter verurteilt hat. Warum der Dalai Lama solche Taten nicht verurteilt ist mir schleierhaft. Wenn er in die Schweiz kommt, sollten ihn schweizer Politiker dazu auffordern.