8. September 2013, Zentralschweiz am Sonntag, Balz Bruppacher –
Wird gegen das Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und China doch noch das Referendum ergriffen? National- und Ständeräte können dies noch verhindern.
Das Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und China liegt jetzt beim Parlament. National- und Ständerat können das Ergebnis der Verhandlungen zwar nicht mehr verändern. Sie entscheiden einzig, ob sie das Abkommen genehmigen oder nicht. In der Kompetenz des Parlaments liegt es aber, den Vertrag dem fakultativen Referendum zu unterstellen und damit eine Volksabstimmung zu ermöglichen.
Die Wirtschaft und das bürgerliche Lager begrüssen das Abkommen, und auch der Bauernverband legt sich nicht quer. Mehrere in der sogenannten China-Plattform zusammengeschlossene Nichtregierungsorganisationen – darunter die Arbeitsgemeinschaft der Hilfswerke, die Erklärung von Bern und die Gesellschaft Schweizerisch-Tibetische Freundschaft – machen aber wegen der Menschenrechtsfrage Druck aufs Parlament.
Auch ein Referendum wird erwogen.
Die China-Plattform bemängelt, dass das Wort «Menschenrechte» im gesamten Vertragswerk nicht ein einziges Mal auftauche. Der in der Präambel des Abkommens festgeschriebene Hinweis auf die Charta der Vereinten Nationen falle zudem weit hinter alle Abkommen der Schweiz zurück, die in jüngerer Zeit abgeschlossen worden seien.
Auf Zusatzprotokoll pochen
Prominente Unterstützung erhalten die Kritiker nun in der Person des früheren Tessiner Staatsanwalts Paolo Bernasconi (siehe Interview unten). Der Wirtschaftsjurist und Hochschulprofessor, dem die Universität Zürich dieses Jahr den Ehrendoktor verliehen hat, geht damit erneut auf Kollisionskurs mit dem Wirtschaftsestablishment. Er will das Freihandelsabkommen bekämpfen, wenn die Menschenrechtsfrage nicht explizit angesprochen wird. «Das Freihandelsabkommen mit China kann das Parlament unter der Bedingung gutheissen, dass ein Zusatzprotokoll mit den üblichen Gewährsklauseln über die Einhaltung der Menschenrechte unterzeichnet wird», sagt er gegenüber der «Zentralschweiz am Sonntag».
Bernasconi hatte sich bereits aktiv für die Annahme der Abzocker-Initiative von Thomas Minder eingesetzt. Der 70-jährige Tessiner ist seit 1986 Mitglied des 15-köpfigen Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK).
Die Verhandlungen für das Abkommen mit der zweitgrössten und weiter rasch wachsenden Volkswirtschaft hatten rund zweieinhalb Jahre gedauert. Das über 1100 Seiten starke Abkommen soll Schweizer Firmen künftig einen Wettbewerbsvorteil bringen im Vergleich zu Firmen aus Ländern ohne Freihandelsabkommen mit China. Der Bund strebt eine Inkraftsetzung des Vertrags in der zweiten Hälfte 2014 an.
Exporte mehr als verdoppelt.
Im Jahr 2012 exportierte die Schweiz Waren im Wert von 7,8 Milliarden Franken nach China. 2011 war es gemäss offizieller Statistik sogar noch mehr. Innert einem halben Jahrzehnt haben sich die Ausfuhren der Schweizer Wirtschaft ins Reich der Mitte damit mehr als verdoppelt.
Interview mit Paolo Bernasconi
«Der Bundesrat hat die Chance völlig verpasst»
Paolo Bernasconi (70) will das Freihandelsabkommen mit China zu Fall bringen, wenn die Menschenrechtsfrage nicht explizit angesprochen wird. Der Tessiner Wirtschaftsjurist will auch chinesische Touristen sensibilisieren.
Paolo Bernasconi, Sie fordern, dass das Freihandelsankommen mit China mit einer Menschenrechtsklausel ergänzt wird. Kommt diese Forderung nicht zu spät, wenn das Abkommen schon beim Parlament liegt?
Paolo Bernasconi: Im Gegenteil, das Schweizer Parlament ist ja nicht ein Kopfnicker-Gremium mit rein dekorativer Funktion. Auch in jüngster Zeit hat das Parlament bei solchen Fragen seine Verantwortung wahrgenommen, zum Beispiel anlässlich der Ratifizierung der Verträge mit den Vereinigten Staaten im Steuerbereich. Das Freihandelsabkommen mit China kann das Parlament unter der Bedingung gutheissen, dass ein Zusatzprotokoll mit den üblichen Gewährsklauseln über die Einhaltung der Menschenrechte unterzeichnet wird. Schon heute sensibilisieren mehrere Organisationen der Zivilgesellschaft Parlamentarier und Öffentlichkeit über die schwerwiegenden Folgen für die chinesische Bevölkerung, falls das Abkommen ohne die übliche Klausel zum Schutz der Menschenrechte angenommen würde.
Was sagen Sie zum Argument, dass die Schweiz in der Menschenrechtsfrage nicht missionieren sollte? Und dass der beste Beitrag zur Verbesserung der Menschenrechtslage in China die Unterstützung eines nachhaltigen Wachstums sei?
Bernasconi: Der Bund «missioniert» in der Menschenrechtsfrage seit Jahrzehnten und setzt dafür beträchtliche finanzielle und personelle Mittel ein. Genau hier liegt der unakzeptable Widerspruch: Verhandlungen über Freihandelsabkommen stellen immer eine günstige Gelegenheit dar, um wesentliche Konzessionen zu erzielen – auch in Menschenrechtsfragen. Diese Chance hat der Bundesrat im Falle Chinas völlig verpasst. Der Bundesrat verweist aber in seiner Botschaft auf die Notwendigkeit des Schutzes von ethnischen Minderheiten in China.
Bernasconi: Alle wissen, dass solche Hinweise nicht verbindlich sind. Das typische Instrument besteht gemäss Völkerrecht in einer Klausel über Menschenrechte im Text des Freihandelsabkommens. Dies hat die Schweiz in jüngerer Zeit auch im Falle von Freihandelsabkommen mit der Ukraine und Hongkong getan.
Bundesbehörden und Wirtschaft bezeichnen das Abkommen mit China als Meilenstein. Wie stufen Sie die wirtschaftliche Bedeutung des Abkommens ein?
Bernasconi: Die schweizerische Wirtschaft hat in den letzten Jahrzehnten auf dem chinesischen Markt gewaltig expandiert, ohne dass ein Freihandelsabkommen notwendig gewesen wäre. Die Konzessionen Chinas werden in verschiedenen Schweizer Wirtschaftsgremien als eher bescheiden eingestuft. Hinzu kommt, dass Schweizer Unternehmer von sehr negativen Erfahrungen mit chinesischen Partnern berichten, insbesondere mit Bezug auf die Nachahmung von Marken.
China wird sich kaum auf Nachverhandlungen über eine Menschenrechtsklausel einlassen. Kämpfen Sie nicht gegen Windmühlen?
Bernasconi: Der Bundesrat hält die kommunistische Regierung Chinas für einen zuverlässigen Partner. Sonst hätte er die Initiative, ein Freihandelsabkommen zu unterzeichnen, nie ergriffen. Es ist unverständlich, weshalb das Schweizer Parlament von Anfang an eine Nachverhandlung ausschliessen sollte. Es ist bekannt, dass die chinesische Regierung auf wirtschaftlichen Druck mit internationalem Echo sehr sensibel reagiert.
Wie wollen Sie solchen Druck aufbauen?
Bernasconi: Mit Naming und Shaming jener chinesischen Firmen, die sich Menschenrechtsverletzungen zu Schulden kommen lassen. Firmen, die sich an der Herstellung und Vermarktung von Produkten beteiligen, die von drei Millionen Arbeitern in Zwangslagern erzeugt werden. Oder auf die Zerstörung der Dörfer von zwei Millionen tibetischen Bauern und Hirten und deren zwangsweise Umsiedlung zwecks besserer Kontrolle hinweisen.
Glauben Sie wirklich, dass die chinesische Regierung so umgestimmt werden kann?
Bernasconi: Die Sensibilisierungskampagne muss sich auch an die chinesischen Touristen in der Schweiz wenden. Zum Beispiel mit Plakaten und Flyern vor den Juwelier-Geschäften in Luzern und in Interlaken am Anfang der sogenannten Golden Week, die zahlreiche Touristen in die Schweiz zieht. Die Schweizer Bevölkerung wird gleichzeitig durch die bereits angelaufene Kampagne mit Blick auf ein Referendum gegen das Freihandelsabkommen sensibilisiert.
Angenommen, ein Referendum kommt zu Stande. Befürchten Sie nicht, dass Volk und Stände dem Abkommen haushoch zustimmen werden und dass ihrem Anliegen letztlich ein Bärendienst erwiesen wird?
Bernasconi: Ein Bärendienst wäre das Schweigen. Wenn auch das Schweizer Volk schweigen würde, das in aller Welt für Aufrechterhaltung und Achtung der Freiheitsrechte bekannt ist, käme das einem Bärendienst gegenüber den Millionen von Menschen gleich, die in China heute noch unter der politischen Repression leiden. Das Schweizer Volk könnte dann nicht mehr sagen: «Das wussten wir nicht.» Papst Franziskus beklagt die «Globalisierung der Gleichgültigkeit». Ich frage die Politiker und die Schweizerinnen und Schweizer: Ist der Schutz der Menschenrechte nur eine virtuelle Wirklichkeit? Kann China die Schweiz kaufen?
Interview Balz Bruppacher
balz.bruppacher@luzernerzeitung.ch