von Wangpo Tethong und Chompel Balok –
Als durchaus listig könnte man den Einmarsch der chinesischen Volksarmee im Herbst 1950 in Tibet bezeichnen. Denn die chinesischen Soldaten hatten damals den Befehl, die Tibeterinnen und Tibetern mit Höflichkeit für das neue Regime zu gewinnen. So wurde ihnen damals Religionsfreiheit, Respekt vor Sitten und Gebräuchen und Schutz der Klöster und Tempel versprochen. Entsprech–end wurden die Truppen vor ihrem Einmarsch in tibetischer Religion, Kultur und Sprache unterrichtet1. Zu diesem Zeitpunkt verfügte die Schweiz mit China gerade mal über drei bilaterale Abkommen2. Mit dem rasanten Aufstieg Chinas zur wirtschaftlichen Grossmacht stiegen auch der Umfang und die Intensität der aussenpolitischen Beziehungen zwischen der Schweiz und China. Im Zeitraum zwischen den Jahren 1950 und 1999 wurden lediglich 18 bilaterale Abkommen mit China abgeschlossen. Seit dem Jahr 2000 ist die Zahl dieser Abkommen geradezu explodiert – es kamen in den letzten 13 Jahren 24 neue Abkommen hinzu.
Um die Intensivierung der handelspolitischen Beziehungen zu rechtfertigen, folgt der Bundesrat der Argumentationslinie der einflussreichen China-Lobbyisten in der Schweiz. Diese tragen seit Jahren das gleiche Mantra vor: Wandel durch Handel. Danach benötigt das Reich der Mitte Zeit für Veränderungen und davon werde letztlich auch die Schweiz wirtschaftlich profitieren. Zudem führe wirtschaftlicher Wandel langfristig und unweigerlich auch zu politischen Reformen. Schliesslich verfängt auch immer wieder das kulturrelativistische Argument, wonach wir unsere europäisch geprägten kulturellen Vorstellungen nicht China überstülpen dürfen. Stellvertretend für diese Sichtweise und sicherlich zum Gefallen der chinesischen Führung holte Bundespräsident Ueli Maurer in diesem Jahr zum Befreiungsschlag aus, indem er betonte, dass es nun an der Zeit sei, einen Schlussstrich unter das Tiannamen-Massaker von 1989 zu ziehen.
Schweissausbrüche um ein Referendum
Einen „Meilenstein“ stelle das kürzlich ausgehandelte Freihandelsabkommen mit der Volksrepublik China dar, so titulierte es ein Mitglied der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrates. Kommt es zustande, so wäre die Schweiz das erste kontinentaleuropäische Land, das mit China ein solches Abkommen abschliessen konnte. Damit verbunden sind handfeste Hoffnungen auf einträgliche kommerzielle Beziehungen der Schweiz mit China. Der Gedanke, dass dieses von unseren Parlamentariern als Verhandlungserfolg bezeichnete Abkommen auf der Zielgerade noch scheitern könnte, löst Schweissausbrüche bei der politischen Elite unseres Landes aus. Also würgen Bundesrat, Aussenpolitische Kommission sowie eine Mehrheit des Nationalrates die Möglichkeit einer öffentlichen Diskussion mittels fakultativem Referendum bereits im Ansatz mit dem Verweis ab, dass die hierfür notwendigen verfassungsmässigen Kriterien nicht erfüllt seien.
Dabei wäre eine umfassende Diskussion der in Auftrag gegebenen Studien zu den Umweltfolgen des Abkommens wichtig gewesen. Man hätte mit unabhängigen Experten und kritischen Wissenschaften diese Themen vertiefen müssen. Im Oktober dieses Jahres hat die Gesellschaft Schweizerisch-Tibetische Freundschaft in Bern eine Umweltkonferenz zu Tibet organisiert. Die Experten haben sich zu den Folgen der wirtschaftlichen Erschliessung Tibets geäussert und einige sehr beunruhigende Entwicklungen aufgezeigt. Darunter Anzeichen für die Vertreibung von tibetischen Nomaden aus ihren angestammten Lebensräumen. Offizielle Vertreter des Bundes wurden an diesem Treffen leider nicht gesichtet.
Eine Frage, die eigentlich breit in der Öffentlichkeit diskutiert werden müsste, wird nun in Rekordtempo durch Regierung und Parlament gejagt. Statt einer fundierten Diskussion dominiert taktische PR-Arbeit. Aber mit dem juristischen Winkelzug von Bundesrat und Parlament wird die Schweizer Bevölkerung über eine der weitreichenden Entscheidungen der Schweiz in der Definition ihrer aussenwirtschaftlichen Beziehungen ausgeschlossen.
Selbstverständnis der Schweiz berücksichtigen
Dabei werden mit diesem Vertrag neue Standards gesetzt, indem man die bisherigen handelspolitischen Minimalanforderungen betreffend Menschenrechte streicht. Das Selbstbild der Schweiz, das nach wie vor geprägt ist von der Respektierung von demokratischen Rechten und vom Verantwortungsgefühl der Stärkeren gegenüber den Schwächeren wird durch diesen Vertrag verletzt.
Es entspricht unserer Meinung nach dem politischen Selbstverständnis der Schweiz, wonach die politische Willensbildung im öffentlichen Austausch von Meinungen zu erfolgen hat und Lösungen in diesem Verfahren zuerst errungen werden müssen. Dabei akzeptiert die Bevölkerung in der Schweiz bewusst eine mitunter tiefere Schlagzahl bei der Behandlung von wichtigen politischen Geschäften zugunsten einer gründlichen und öffentlich geführten Diskussion. Dies führt zu demokratisch breit abgestützten und akzeptierten Lösungen, was wir Schweizerinnen und Schweizer zu Recht als eine Stärke unseres politischen Systems bezeichnen. Für diese grundsätzliche Haltung der Schweiz gilt es meiner Ansicht nach auch in weltweiten Handelsbeziehungen einzustehen. Zwar lassen sich diese staatsleitenden Grundsätze nicht direkt in monetären Vorteile umwandeln, doch ist die politische und wirtschaftliche Elite unseres Landes gut beraten, auch in Handelsbeziehungen das zu verteidigen, was die Schweiz wirklich zusammenhält: Die guten Werte der Schweiz.
Für den Schutz der Schweizer Bauern, den Schutz des geistigen Eigentums und die Lebensmittelsicherheit sind Schutzklauseln geschaffen worden. Mit einem verbindlichen Verweis auf menschenrechtliche und der ökologische Standards hätte man dafür sorgen können, dass auch diesen Themen Nachachtung geschaffen worden wäre. Die Menschen, die sich für diese wichtigen Themen einsetzen, müssen jedoch feststellen, dass ihren Anliegen im Gegensatz zu den Bauern eine Lobby gefehlt hat.
Symbolische Bedeutung des Freihandelsabkommens
Das vorliegende Handelsabkommen ist mehr als nur ein Vertragswerk, das über Tausende von Zeilen minutiös festlegt, welche Güter zu welchen tarifären Bestimmungen in die Schweiz gelangen und umgekehrt nach China ausgeführt werden können. Das Abkommen bestimmt vielmehr die Regeln unseres Handelsaustausches und toleriert von nun, dass ein Wettbewerbsvorteil basierend auf der Verletzung von Menschenrechten und der Zerstörung der Umwelt möglich ist. Er ist ein Wegweiser für die Beziehungen zwischen der Schweiz mit China auch in anderen Fragen. Er stellt insbesondere, und das ist verheerend, einen Referenzpunkt für andere Länder und Regierungen bei der Festlegung ihrer handelspolitischen Beziehungen zu China dar.
Ablehnung des Freihandelsabkommens
Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass nur der Preis unser wirtschaftliches Handeln leitet. Eine solche
Denkweise kommt einer Herabsetzung und Missachtung des Menschen gleich. Denn damit wird unterstellt, dass ethische Prinzipien und Überlegungen im wirtschaftlichen Handeln von völlig untergeordneter Rolle sind. Die Wahrheit ist: Wir sind nicht informiert. Wenn wir wüssten, dass die Elektronikgeräte nur deshalb so günstig sind, weil Kupfer und Lithium – sei es in Tibet oder in anderen Weltgegenden – ohne Rücksicht auf die Bevölkerung und die Natur abgebaut werden, würden wir nach Regeln verlangen.
Es gäbe eine Reihe von Möglichkeiten, noch nachträglich den Schutz der Menschenrechte und der Umwelt ins Vertragswerk zu integrieren oder in einem Zusatzabkommen zu regeln. Es ist nur eine Frage des politischen Willens. Sollte die Vorlage zurückgewiesen werden, könnte zusammen mit der Europäischen Union eine gemeinsame Verhandlungsposition aufgebaut werden, die besser ist.
Die heutige Situation in Tibet zeigt: Mit der anfänglichen Höflichkeit und dem Respekt vor tibetischen Werten von Seiten der chinesischen Führung ist es längst vorbei. Heute dominiert eine Politik der harten Hand. Sowohl die tibetische Bevölkerung als auch andere Volksgruppen werden marginalisiert und die zerstörerische Ausbeutung der Umwelt für die Herstellung billiger Produkte geht nach wie vor weiter. Die Schweiz darf die Augen vor dieser dramatischen Entwicklung nicht verschliessen.
Dieser Vertrag tut weder der Schweiz, noch den Menschenrechten gut. Er ist blind gegenüber der Realität in China und taub gegenüber Anliegen der Unterdrückten und der Umwelt. Er folgt nur dem Geruch des schnellen Geldes. Deshalb müssen die Mitglieder des National- wie auch des Ständerats den Vertrag in seiner jetzigen Form zurückzuweisen.
1 Inhaltlich übernommen aus: http://www.zeit.de/2010/38/Tibet
2 Bundesverwaltung: http://www.eda.admin.ch/eda/de/home/topics/intla/intrea/dbstv/data_c/c_249.html
Freihandelsabkommen mit China: Petition an das Parlament
Persönlichkeiten aus der schweizerischen Politik haben eine Petition lanciert, die vom Parlament verlangt, das Freihandelsabkommen mit einem Zusatzprotokoll zu Menschenrechten, Arbeitsrechten und Minderheitenschutz zu versehen.
Auch soll das FHA dem fakultativen Refernedum unterstellt werden, damit die Stimmbürger /-innen in der Schweiz über einen Vertrag abstimmen können, der in krassem Widerspruch zu den üblichen Standards der schweizerischen Politik steht.
Hier: Brief an Nationalräte schreiben