Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.5.14, von Timo Frasch –
Der Dalai Lama kommt am Dienstag wieder nach Hessen. Aber dieses Mal halten sich die Landespolitiker dezent zurück. Wie das geistige Oberhaupt der Tibeter die Staatskanzlei in Erklärungsnot bringt.
Damals Hand in Hand: Der Dalai Lama und Ministerpräsident Volker Bouffier im August 2011 im Landtag.
Roland Koch hat Hessen ein heikles Erbe hinterlassen: die Freundschaft zum Dalai Lama. Der frühere Ministerpräsident hatte das geistige Oberhaupt der Tibeter bereits in den achtziger Jahren kennengelernt – zu einer Zeit, da Koch mangels Bedeutung noch nicht zu Rücksichtnahmen gezwungen war. Als er aufstieg, erst zum Oppositionsführer, dann zum Ministerpräsidenten, änderte er seine Haltung gleichwohl nicht. 1995 würdigte Koch bei einem Besuch des Dalai Lamas in Indien den gewaltlosen Kampf der Tibeter gegen die Unterdrückung durch die Chinesen. Der Dalai Lama wiederum war mehrfach in Hessen zu Gast: in der Staatskanzlei, im Landtag. Zum 70. Geburtstag „Seiner Heiligkeit“ richtete Koch im Wiesbadener Kurhaus eine grosse Feier aus. Jeder Besuch war begleitet von chinesischen Protestnoten.
Nächste Woche kommt der Dalai Lama wieder nach Hessen. Allein: Die Landespolitiker halten sich diesmal dezent zurück. Geplant ist, dass er am Mittwoch in der Frankfurter Fraport-Arena einen Vortrag über „Mitgefühl und Selbstbewusstsein“ hält, tags darauf soll er unter anderem mit Schülern diskutieren. Als Ort dafür hat ihm Frankfurt immerhin die Paulskirche zur Verfügung gestellt – für einen „tragbaren Obolus“, wie ein Sprecher der Stadt sagte. Ob es zu dem vom Oberbürgermeister angebotenen Empfang in seinem Dienstzimmer und zum Eintrag ins Goldene Buch kommen würde, stand am Donnerstag „aus organisatorischen Gründen“ noch nicht fest. Mehr der Ehrerbietung, etwa einen Empfang im Kaisersaal des Römers, den sich manche Tibet-Freunde gewünscht hatten, wurde jedenfalls nicht erwogen.
Studenten-WG statt Zahnarztvilla
In die Landeshauptstadt Wiesbaden wird der Dalai Lama überhaupt nicht kommen. Er hat auch keine Einladung. Vielmehr soll es am Dienstag ein Treffen mit dem hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU) im Frankfurter „Tibethaus“ geben. Dessen räumliches Angebot verhält sich zu dem der Staatskanzlei wie eine Studenten-WG zu einer Zahnarztvilla. Die Vorsitzenden der anderen Fraktionen wurden von Bouffier dazu geladen – nachdem der SPD-Vorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel Anfang April im Landtag die Regierung mit Berichten konfrontiert hatte, wonach es überhaupt kein Treffen geben werde. Schäfer-Gümbel wird im „Tibethaus“ nicht dabei sein. Er lässt sich durch die Landtagsvizepräsidentin vertreten, während die Linksfraktion lediglich in der Paulskirche mit ihrem innenpolitischen Sprecher anwesend sein wird – in beiden Fällen wurden dafür terminliche Gründe angegeben.
Wie ist das alles zu bewerten? Die gebetsmühlenartige Formulierung der organisatorisch Beteiligten lautet: Mehr sei nie geplant gewesen. Das „Tibethaus“, das auch den „Obolus“ zu entrichten hat, habe den Dalai Lama eingeladen, und dieser wolle speziell dem „Tibethaus“ seine Reverenz erweisen. In Wiesbaden kursieren aber auch andere Lesarten. Was etwa die SPD angeht: Für die ist die Lage zumindest knifflig, weil Schäfer-Gümbel sich in der Bundes-SPD auch um die deutsch-chinesischen Beziehungen kümmert.
Seine Heiligkeit ist nie enttäuscht
Und die Landesregierung? Von den Grünen, sonst in Sachen Menschenrechte ganz vorne dabei, war wenig zu vernehmen. Michael Busser wiederum, der CDU-Regierungssprecher, hat am 7. April über das geplante Treffen im „Tibethaus“ informiert. Interessant: Eine Woche vorher hatte die Staatskanzlei die Entscheidung Chinas begrüsst, in Frankfurt ein Handelszentrum für die Staatswährung Renminbi einzurichten.
Die zeitliche Koinzidenz heizte Spekulationen an. Wollte man die Chinesen nicht verprellen? Schliesslich hatte Bouffier 2011 den Dalai Lama noch mit grossem Bahnhof empfangen. Der China-Fachmann und Sinologe Siegfried Englert, der zuletzt die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer in die Volksrepublik begleitet hat, sagt zwar, die Chinesen verfolgten „ganz nüchtern ihre ökonomischen und strategischen Ziele“. Weder der Dalai Lama noch ein deutscher Ministerpräsident seien wichtig genug, sie davon abzubringen. Fakt ist aber auch: Die Chinesen haben auch diesmal ihre „Anliegen in der Staatskanzlei deutlich gemacht“ – so das chinesische Generalkonsulat in Frankfurt. Im Übrigen gibt es ernstzunehmende Hinweise, dass die Tibeter um einen Termin in der Staatskanzlei ersucht haben. Busser sagt: „Davon ist mir nichts bekannt. Keinem hier ist davon bekannt.“ Das Genfer Büro des Dalai Lamas liess auf die Frage, ob man enttäuscht sei, wissen: „Seine Heiligkeit ist nie von irgendetwas enttäuscht.“