Allgemein Politik

Tibet-Kongress Hamburg: Harte Realität hinter sanften Worten

Zeit.de, 26.08.14, Johan Dehoust –
Erst hält der Dalai Lama Vorträge, danach diskutiert der tibetische Exil-Premier harte Politik — gemeinsam mit chinesischen Intellektuellen.

Es ist ein Bild, das dazu einlädt, politisch gedeutet zu werden. Wenn auch nur für einen kurzen Augenblick. Montagnachmittag im Grand-Elysée-Hotel am Hamburger Dammtorbahnhof: Der tibetische Exil-Premier Lobsang Sangay, seine Aussenministerin Dicki Chhoyang und der Dalai-Lama-Repräsentant Kelsang Gyaltsen haben eine Journalistengruppe zum Mittagessen geladen. Sie wollen ihnen die aktuelle politische Situation Tibets erläutern – und empfangen ausgerechnet im Saal Shanghai, in dem roter Teppich, rote Wände und rote Gardinen chinesischen Flair verbreiten.

Kann das Zufall sein? Soll das ein Hinweis auf einen Dialog zwischen der Grossmacht China und den Tibetern sein? Diese hoffnungsfrohen Gedanken allerdings schwinden, sobald man sich klarmacht, warum die tibetische Delegation wirklich nach Hamburg gereist ist. Dass sie im Shanghai-Saal empfängt, ist wohl nur ein schräger Zufall.

Vier Tage lang hat der Dalai Lama, das geistige Oberhaupt der Tibeter, Vorträge in Hamburg gehalten. Tausende Menschen hörten ihm dabei zu. Es ging um allgemeingültige Lebensweisheiten. Um Werte wie Toleranz, Gewaltlosigkeit und Vergebung. Um was es dabei allenfalls am Rande ging: das Schicksal Tibets. Aus diesem Grund sind nun Ministerpräsident Sangay und Aussenministerin Chhoyang in der Hansestadt.

Sie wollen die Aufmerksamkeit, die der Dalai Lama durch seine sanften Worte erlangt hat, nutzen, um auf die harte Situation in ihrer Heimat aufmerksam zu machen. Darauf, dass sich für sie auch unter der neuen chinesischen Regierung kaum etwas verändert habe. Im Gegenteil: Sie begegne den Autonomie-Bestrebungen Tibets nur noch resoluter. Sie betreibe eine „Hardline-Politik“, sagt Lobsang Sangay. Der chinesische Staatspräsident Xi Jinping lasse keine Anzeichen erkennen, dass er etwas am Status-Quo ändern wolle: Daran, dass das einst eigenständige Staatswesen durch mehrere chinesische Provinzen zerteilt sei und die tibetische Kultur sich so nicht entfalten könne.
Die chinesischen Diskussionspartner leben in den USA und der EU

Seit 2011 hat der Dalai Lama die politischen Belange seiner Heimat auf den Ministerpräsidenten Lobsang Sangay übertragen. Gemeinsam mit seinem Kabinett stemmt er sich seither von der indischen Stadt Dharamsala ausgehend gegen die Unterdrückung Tibets. Von hier reist Sangay um die Welt, um für sein grosses Ziel zu werben: ein Tibet, das tatsächlich von Tibetern regiert wird. Leider begegne er dabei immer wieder Menschen, die glaubten, sein Land wolle sich komplett von China abspalten, sagt Sangay. Dabei wolle es gemeinsam mit den Besetzern eine Lösung finden. Den Mittelweg, so nennen die Tibeter ihren Ansatz. Die Grundsätze dafür hat der Dalai Lama schon in den Achtzigern formuliert, jetzt wirbt die Exilregierung wieder verstärkt für ihn, unter anderem über eine in diesem Jahr erstellte mehrsprachige Homepage.

Wie genau dieser Mittelweg aussehen kann, darüber wollen Sangay und seine Begleiter die nächsten zwei Tage im Elysée-Hotel in Hamburg an der Moorweide diskutieren. Die tibetische Exil-Regierung lädt zum „Sino-Tibetischen Dialog“. Hierzu haben sich sogar einige chinesische Intellektuelle angekündigt. Etwa die Autorinnen Liao Tienchi und Jianglin Li. Oder der Filmemacher Wang Longmeng. Zwar lebten diese alle nicht in China, sondern in Europa oder den USA, sagen die Veranstalter. Aber sie hofften, durch sie auch in China gehört zu werden – selbst wenn ihre Stimmen dort nur leise zu vernehmen seien.

Auch wenn sich die Regierung nach wie vor hart zeige, habe sich das Bild der Tibeter in der chinesischen Öffentlichkeit gewandelt, sagt Kelsang Gyaltsen, der Repräsentant des Dalai Lama. Er beobachte, dass sich zunehmend Intellektuelle für seine Landsleute interessierten. Die Propaganda, die sie als unterentwickelt und spalterisch darstelle, würde immer häufiger infrage gestellt. Diese Entwicklung müsse mit Veranstaltungen wie dem Kongress in Hamburg immer weiter vorangetrieben werden. Dann komme der chinesische Staat irgendwann nicht umhin, sich neu mit der Tibet-Frage zu beschäftigen.

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