Thurgauer Zeitung, 22.11.14, Fanny Urech –
Das Berufs- und Weiterbildungszentrum Toggenburg führte eine Projektwoche zum Thema «Migration – Integration am Beispiel der Tibeter in der Schweiz» durch. Tibeterinnen und Tibeter erzählten die Geschichten ihrer Flucht und wie sie in der Schweiz aufgenommen wurden.
Es war der dritte Projekttag im Berufs- und Weiterbildungszentrum Toggenburg in Wattwil. Das Thema lautete «Migration – Integration am Beispiel der Tibeter in der Schweiz». Bunte tibetische Gebetsfahnen schmückten den Vorplatz, auch die Aula war geschmückt. Auf einer kleinen Bühne wurde ein Sofa aufgebaut, die Wände waren behangen mit tibetischen Gebetsteppichen und am hinteren Rand stand ein kleiner Altar, wie er in jedem tibetischen Haushalt zu finden ist. An der rechten Wand hing ein riesiger Wandteppich. Darauf konnte man den Winterpalast des Dalai Lama in Lhasa (der Hauptstadt von Tibet) betrachten. Heute ist er allerdings kein Palast mehr, sondern wurde von den Chinesen zu einem Museum umgewandelt. Pünktlich zum Beginn des Vortrags strömten die Schüler und Besucher von ausserhalb herein. Verantwortlich für die Organisation der Projektwoche waren Lukas Weibel, Leiter des Sozialdienstes am Berufs- und Weiterbildungszentrum Toggenburg, Peter Egli, Berufsschullehrer und Abteilungsleiter für die Allgemeine Bildung, Anja Leuzinger, Sozialarbeiterin in Ausbildung, Rektor Fredy Huber sowie Tibeterinnen und Tibeter von «Tibet auf dem Säntis».
Die eigene Kultur ausüben
Vom 17. bis zum 21. November fanden täglich zwei Veranstaltungen statt. Diese beinhalteten Filmausschnitte, Musik und Fluchtgeschichten von früher und von heute. Das Ziel dieser Projektwoche war es, Vorurteile zu zerstreuen. Die Schüler sollten sehen, was Migration und Integration wirklich bedeutet. Ausserdem soll verdeutlicht werden, dass das Ausüben der eigenen Kultur kein Widerspruch zu einer erfolgreichen Integration ist. Nach der Begrüssung durch den Prorektor des Berufs- und Weiterbildungszentrums, Peter Egli, übernahm Moderator Roger Mäder das Wort. Er setzt sich seit rund 20 Jahren für die Befreiung Tibets ein. Als erstes stellte er seine Co-Moderatorin Dickie Shitsetsang vor, eine Tibeterin, die vor rund 50 Jahren in die Schweiz geflohen ist.
Eine Schweiz voll von Schnee
Der erste Programmpunkt waren Ausschnitte aus dem Film «Kampf um Tibet». Er soll aufzeigen, dass es im Konflikt zwischen Tibet und China nicht um einen Konflikt aufgrund verschiedener Kulturen oder um Unterschiede zwischen dem tibetischen Buddhismus und dem chinesischen Kommunismus geht, sondern um die politischen, wirtschaftlichen und strategischen Interessen der Machthaber in Peking.
Als Interview gestaltet erzählte Dickie Shitsetsang anschliessend die Geschichte ihrer Flucht vor 50 Jahren. Sie floh aus Tibet über Indien in die Schweiz, wo sie von einer Pflegefamilie aufgenommen wurde. Wenn sie an ihren ersten Eindruck zurückdenkt, so sagt sie: «So viel Schnee, ich dachte, in der Schweiz gibt es nur Schnee.» Ihre neue Familie habe aber sehr gut für sie gesorgt und gab ihr die Möglichkeit, die Sprache zu lernen und eine Ausbildung zu machen. Erst Ende 1979 konnte ihre tibetische Familie Kontakt zu ihr aufnehmen.
Gemischte Kulturen
Nach dieser Geschichte durften die Besucher einer kurzen Liveaufführung von traditioneller tibetischer Musik beiwohnen. Ein Lied und ein Tanz, präsentiert von einem Tibeter, der seit einem Jahr und zehn Monaten in der Schweiz lebt, begeisterte die Zuhörer. Anschliessend gab es ein zweites Interview mit Dickie Shitsetsang, aber diesmal war auch Pema, ihre Tochter, mit dabei. Pema Shitsetsang ist Schauspielerin und spielte die Rolle der Meto, die tibetische Kinder über die Grenze nach Indien schmuggelt, in «Escape from Tibet». Sie wuchs mit ihrer Familie in der Schweiz auf. Als Tibeterin fühlt sie sich trotzdem noch teilweise, «je nach Situation bin ich mehr Tibeterin oder mehr Schweizerin». Ihre Mutter erzählte, dass es ihr wichtig war, ihre Kinder in beiden Kulturen aufwachsen zu lassen, denn dies sei eine Bereicherung. Sie feiern zwar noch immer die traditionellen tibetischen Festtage zu Hause, aber auch Weihnachten wird nicht vergessen, denn schliesslich sei das auch ein Teil des Lebens ihrer Kinder.
Als nächster Punkt stand ein Ausschnitt des Filmes «Merci Schwiiz» auf dem Programm, welcher die Dankbarkeit der Tibeter gegenüber der Schweiz ausdrücken soll. Zum Abschluss kamen alle nochmals in den Genuss tibetischer Musik.
Sprache ist wichtig
Finanziell unterstützt wurde das Projekt durch Eigenleistungen des Berufs- und Weiterbildungszentrums Toggenburg und durch die Hirschmann-Stiftung. Die Stiftung fördert seit dem Jahr 2008 Integrationsprojekte an schweizerischen Berufsfachschulen. Dies geschieht in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Direktorinnen- und Direktorenkonferenz der Berufsfachschulen (SDK). Als Mitglied der Projektgruppe der SDK, besuchte Werner Roggenkemper eine Veranstaltung der Projektwoche. «Das ist der schönste Teil meines Jobs. Diese Veranstaltungen zu besuchen und zu sehen, was sie bewirken», begeistert sich der Rektor des Berufs- und Weiterbildungszentrum Rapperswil-Jona. Die Fluchtgeschichten seien sehr eindrücklich gewesen. «So etwas lässt niemanden kalt, das bleibt im Kopf.» Jährlich werden in der Schweiz etwa 25 bis 30 Projekte dieser Art von der Hirschmann-Stiftung unterstützt. Der aus Deutschland stammende Werner Roggenkemper sagt zum Thema Integration: «Die Grundlage ist immer die Sprache, kommunizieren zu können ist das Wichtigste in einem fremden Land. Ausserdem muss man sich gut in die neue Umgebung einfügen. Man darf dabei aber nicht vergessen, sich selbst treu zu bleiben.»