Allgemein Politik

Schubumkehr in China – (Westen reibt sich die Augen. tibetfocus)

Süddeutsche Zeitung, 3.3.15, Sebastian Heilmann –

Die Volksrepublik hat ihre Öffnungspolitik beendet. Das Land verhärtet sich ideologisch und setzt auf strenge Regulierung.

Die Öffnungspolitik der Volksrepublik Chzina, wie wir sie dreieinhalb Jahrzehnte lang (von 1978 bis 2012) kannten, ist zu Ende gegangen. Unter der Führung von Staats- und Parteichef Xi Jinping manifestiert isch eine machtvolle Schubumkehr, die Chinas Aufstieg und die Herrschaft der Kommunistischen Partei im 21. Jahrhundert sichern soll: eine selektive wirtschaftliche und ideologische Schliessung des Landes nach innen – in Kombination mit einer forcierten diplomatischen und wirtschaftlichen Expansion nach aussen.

Die von Deng Xiaoping nach 1978 eingeleitete Öffnungspolitik zielte ursprünglich auf eine „Befreiung des Denkens“ und ein „Lernen von fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern“. Chinas Öffnungspolitik war damit als jahrezehntelanger Lernprozess und als Aufholjagd mit langem Atem angelegt: Die Wirtschaft wurde in vielen Branchen schrittweise liberalisiert, die staatliche Verwaltung dezentralisiert, das Bildungssystem für den internationalen Austausch geöffnet und die Zusammenarbeit mit Institutionen der Zivilgesellschaften der westlichen Partnerländer gefördert. Zugleich betrieb China eine zurückhaltende Aussenpolitik, die offene diplomatische oder militärische Konflike möglichst vermied und nur selten globale Ambitionen zeigte.

Diese Offenheit und Zurückhaltung hat die Parteiführung unter Xi Jinping aufgegeben. Das 2013 von der KP verabschiedete Reformprogramm wurde im Ausland meist als eines der Liberalisierung gedeutet. Aus heutiger Sicht weist sich dies jedoch als Missverständnis. Statt Liberalisierung sind politisch-ideologische Verhärtungen und eine Marktregulierung zugunsten chinesischer Unternehmen evident. Während im Westen viele Diplomaten und Geschäftsleute immer noch auf die Kontinuität der Öffnungspolitik setzen, wird der Bruch mit den alten Rezepten immer deutlicher: Die Grundpfeiler der Dengschen Öffnungspolitik werden einer nach dem anderen abgetragen.

In Chinas Politik steht heute statt der „Befreiung des Denkens“ die Bekämpfung „westlicher Werte“ im Medien- und Bildungssystem im Vordergrund. Die ideologische Indoktrinierung hat sich insbesondere in Polizei und Armee drastisch verstärkt. Während Deng Xiaoping den Personenkult, der zu Lebzeiten um Mao Zedong betrieben wroden war, scharf verurteilt hatte, toleriert und fördert die staatliche Aufsicht einen grotesken neuen Kult um die Person Xi Jinpings in Chinas sozialen Medien. Die Führungsstrukturen in der Parteizentrale sind nahezu komplett auf Xi Jingping zugeschnitten. Statt dezentraler Experimente in Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik wird nun „Gestaltung von der Spitze her“ gefordert. In drastischer Weise bricht die Parteiführung allerdings auch mit der jahrzehnelangen Toleranz gegenüber der Korruption in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Die vehemente Bekämpfung der Korruption in China ist zweifellos notwendig und populär. Da sie aber mit alten Kampagnen- und Denunziationsmethoden betrieben wird und zugleich der Ausschaltung mächtiger Gegner der amtierenden Parteiführung dient, trägt sie keinesfalls zu offiziell verkündeten Stärkung des Rechtsstaats bei.

In Chinas Wirtschaft hat sich der regulatorische Druck auf ausländische Grossunternehmen sprunghaft verstärkt. Zwar erscheinen manche der wegen Preismanipulationen eingeleiteten Kartellverfahren gegen internationale Firmen nachvollziehbar. Chinesische Unternehmen allerdings werden nicht den gleichen strikten Kriterien unterzogen. Auch betreibt die chinesische Regierung – besonders deutlich im IT-Sektor – eine ausgefeilte Industriepolitik, die auf die Diskriminierung und Verdrängung ausländischer Anbieter und, damit verbunden, den Schutz chinesischer Unternehen zielt. Die industriepolitischen Programme, die Chinas Regierung derzeit für die vernetzte Automobilität („Internet des Autos“) und für die internetgestützte Industrieproduktion („Industrie 4.0“) des 21. Jahrhunderts vorbereitet, werden viele deutsche Unternehmen das Fürchten lehren. Durch neue Standards für „Cybersecurity“, die auch die Offenlegung der Quellcodes von Sicherheitssoftware einschliessen soll, wird die Integrität der internen Kommunikation von in China operiernden ausländischen Unternehmen bedroht.

Der rasante Ausbau der staatlichen „Cyber-Administration“ und bahnbrechende Innovationen auf dem Feld der Überwachungstechnik drohen die zarten Anfänge gesellschaftlicher Pluralisierung und medialer Öffentlichkeit im chinesischen Internet zu zerstören. Die Parte sieht den Cyberspace inzwischen nicht mehr primär als Bedrohung, sondern als machtvolles neues Instrumentarium zur aktiven Lenkung der öffentlichen Meinung, also zur Modernisierung der „Propagandaarbeit für das 21. Jahrhundert“.

In den internationalen Beziehungen verfolgt China unter Xi Jinping eine ausserordentlich energische Diplomatie- und Aussenwirtschaftsoffensive gegenüber Entwicklungs- und Schwellenländern. Chinas Aussenpoitik richtet sich darauf, durch neue Finanzierungsinstrumente und gross angelegte Infrastrukturprojekte chinazentrierte Strukturen in Nachbarregionen und darüber hinaus zu schaffen. Die Folgen reichen weit: Die traditionelle Priorität des Austausches mit den „fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern“ verschiebt sich zugunsten neuer geostrategischer Prioriäten in Zentral- und Südostasien wie auch in der Zusammenarbeit mit Russland. Während die alte Öffnungspolitik vornehmlich auf die Förderung der inneren Modernisierung Chinas zielte, werden wir nun Zeugen eine diplomatischen und wirtschaftlichen Expansion nach aussen, die keine Weltregion mehr auslässt.

Dies alles hat gravierende Konsequenzen für den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Austausch westlicher Länder mit China. In den Branchen, in denen ausländische Expertise, Technologie und Investitionen nicht mehr benötigt weden, weil chinesische Unternehmen bereits selbst konkurrenzfähig sind, haben ausländische Firmen es zunehmend schwer. Und der Austausch mit ausländischen Organisationen der Zivilgesellschaft steht heute seitens der Parteiführung unter dem Generalverdacht der „Infiltration durch feindliche Kräfte“. Mit der Einengung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Austauschs reduzieren sich aus europäischer und amerikanischer Sicht auch die Einwirkungsmöglichkeiten auf Chinas Entwicklung drastisch. Aus chinesischer Sicht aber ist nun die Zeit gekommen, in der China dem Ausland auf Augenhöhe oder sogar in einer überlegenen Position gegenübertreten kann.

Sebastian Heilmann, 49, ist Direktor des Mercator-Instituts für China-Studien (Merics) in Berlin und Professor für Politik und Wirtschaft Chinas an der Universität Trier.

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