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Chinas neueste Attacke auf das Internet

Chinas neueste Attacke auf das Internet – Verbot der Umgehungswerkzeuge in Chongqing könnte einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen

 

Chinas Netzbürger sind bekannt dafür, dass sie geschickt „den großen Firewall übersteigen“ und so um staatliche Barrieren herumkommen, die sie am Zugang zu gewissen Informationen aus dem Ausland hindern. Ihre Interessen sind überraschend vielfältig. Einige sind auf der Jagd nach gegenüber der chinesischen Regierung kritischen Nachrichten oder sie suchen unabhängige Informationen über Fragen der Luftqualität. Manche pflegen auch Geschäftskontakte im Ausland oder benötigen die neuesten wissenschaftlichen Forschungsergebnisse, während andere auf der Facebook-Seite der gewählten Präsidentin Taiwans Attacken platzieren wollen. Präsident Xi Jinping ruft in seiner Eröffnungsrede bei der zweiten jährlichen Welt-Internet-Konferenz in Jiaxing, China, am 16. Dezember 2015 zu einer weltweiten Regulierung des Netzes auf (1).

Doch bald könnte dies alles Vergangenheit sein. Diese Woche veröffentlichte die Stadtregierung von Chongqing, einer regierungsunmittelbaren Megacity von 50 Millionen im Südwesten Chinas, eine Verordnung, welche die nichtautorisierte Verwendung von Umgehungswerkzeugen im Internet in der Stadt verbietet.

Während die Bestimmungen im vergangenen Juli in Kraft traten, wurden deren Einzelheiten erst jetzt bekannt. Ein jeder – das erstreckt sich von Individuen bis hin zu Firmen – der Chinas System der Internetfilter umgeht, wurde aufgefordert, sich loszukoppeln und außerdem gewarnt. Und Personen, die beim Einsatz der Umgehungsprogramme Profit machen, bekommen eine Geldstrafe.

Diese Regelung ist einer der vielen jüngsten Schritte der chinesischen Regierung in ihrem Bestreben, den Zugang zu Informationen unter ihre totale Kontrolle zu bringen. Im Januar 2017 gab das Ministerium für Industrie und Informationstechnologie Bestimmungen heraus, die alle Anbieter von Umgehungssoftware in China verpflichten, eine Vorabgenehmigung von dem Ministerium einzuholen. Damit werden die meisten Anbieter von Virtuellen Privaten Netzwerken (VPN), einer viel verwendeten Umgehungssoftware, zu Gesetzesübertretern.

Die Regelung von Chongqing ist etwas ganz Neues, da sie ein pauschales Verbot für die Nutzung von VPN und anderen Methoden der Umgehung beinhaltet, die eine Verbindung zum globalen Internet ermöglichten. Bisherige Regulierungsbestrebungen zur Zügelung des Gebrauchs solcher Software richteten sich auf die Provider, betrafen aber nicht die individuellen Nutzer. Ob andere Regionalregierungen dem bald nachfolgen werden, ist noch unklar, doch das Verbot hatte bereits eine ernüchternde Wirkung bei VPN-Nutzern im ganzen Land, und viele Netzbürger posteten eingeschüchterte oder weinende Emojis (Ideogramme), um ihr Mißfallen auszudrücken.

Die chinesischen politischen Führungskräfte, von Präsident Xi Jinping an abwärts, sprechen ständig von Kooperation und Meinungsaustausch zwischen dem Volk und den Lokalregierungen. Wenn die chinesische Regierung dies tatsächlich will, sollte sie zumindest ihren Bürgern den Zugang zu einem unzensierten globalen Internet erlauben, wo sie leicht miteinander kommunizieren und Leute aus dem Rest der Welt kennenlernen können.

(1) http://www.deutschlandradiokultur.de/welt-internet-konferenz-droht-eine-globale-netzkontrolle.2156.de.html?dram:article_id=340145

Von Adelheid Dönges und Angelika Oppenheimer
Quelle: Human Rights Watch, hrw.org

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