China Focus

Chinesischem Bürgerrechtler droht Haftstrafe

Er ist einer der prominentesten Bürgerrechtsanwälte Chinas, traf sich einst mit der Kanzlerin. Jetzt wird Jiang Tianyong der Prozess gemacht. Westliche Diplomaten dürfen ihn nicht besuchen.

Der chinesische Bürgerrechtsanwalt Jiang Tianyong steht vor Gericht. Der Vorwurf: „Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt“. Der Prozess begann vor dem Mittleren Volksgericht von Changsha in der zentralchinesischen Provinz Hunan. Wann mit dem Urteil zu rechnen ist, war unklar. Dem 46-Jährigen droht eine Haftstrafe.

Beobachter sprechen von einem Scheinprozess gegen den Regimekritiker. Tianyong arbeitet seit 2005 in Peking als Menschenrechtsanwalt. Er verteidigte unter anderem Tibeter nach den Unruhen im Jahr 2008 und Chinesen, die in Ziegelfabriken zu Sklavenarbeit gezwungen worden waren. Im Jahr 2011 war Tianyong schon einmal verhaftet und nach eigenen Angaben geschlagen und misshandelt worden.

Diplomaten aus Deutschland, den USA, Grossbritannien, Kanada, der Schweiz und den Niederlanden bemühten sich in Changsha vergeblich, an dem nun begonnenen Prozess teilnehmen zu dürfen, berichteten diplomatische Kreise. „Sie wurden nicht vorgelassen“, hiess es. Das Gerichtsgebäude war weiträumig abgesperrt.

Geständnis „offensichtlich erzwungen“ 

In dem Prozess bekannte sich Tianyong als schuldig im Sinne der Anklage und äusserte die Hoffnung, dass andere Aktivisten und Anwälte „eine Lektion lernen“. Er bat wegen seiner Kooperationswilligkeit um eine milde Strafe. Jiang Tianyong wird nur noch die „Anstiftung“ vorgeworfen, nicht mehr die schwere Straftat der „Untergrabung der Staatsgewalt“, von der zunächst die Rede war.

„Sein Geständnis ist offensichtlich erzwungen“, sagte Maya Wang von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Wie andere vor ihm habe Jiang Tianyong nach langer Isolationshaft keinen Zugang zu einem Anwalt seiner Wahl oder zu seiner Familie erhalten. „Der Scheinprozess zeigt einmal mehr, wie ungerecht die Verfahren in China sind“, sagte Patrick Poon von Amnesty International.

Der Fall des Aktivisten wird auch von deutscher Seite aufmerksam verfolgt. Jiang Tianyong war in Peking schon mit Kanzlerin Angela Merkel und dem früheren Wirtschafts- und heutigen Aussenminister Sigmar Gabriel zusammengetroffen, um sie bei ihren China-Besuchen über die Menschenrechtslage zu informieren.

Kritische Äusserungen über die chinesische Führung 

Jiang Tianyong war nur gut drei Wochen nach seinem Treffen mit Vizekanzler Gabriel im November verhaftet worden. Die Bundesregierung hatte daraufhin die chinesische Seite um Aufklärung gebeten. Gabriel, der Jiang Tianyong als „mutigen Anwalt“ beschrieben hatte, wird Mitte September erneut zu einem Besuch in China erwartet.

Direkt nach dem Treffen mit dem Vizekanzler und anderen Anwälten, Dissidenten und Intellektuellen am 2. November in der deutschen Botschaft hatte sich Jiang Tianyong kritisch über die Führung Chinas geäussert. Der Bürgerrechtler sagte damals: „Der Vizekanzler stimmte zu, dass es heute schwieriger ist, mit der chinesischen Seite über Menschenrechte zu sprechen.“

Die Menschenrechtslage in China wird international immer wieder kritisiert. Zuletzt hatte der Tod des chinesischen Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo im Juli und die Behandlung seiner offenbar unter Hausarrest stehenden Frau Liu Xia bereits ein Schlaglicht auf die schwierige Menschenrechtslage in China geworfen.

Mehr als einen Monat nach der Trauerfeier für den in Haft an Leberkrebs erkrankten Liu Xiaobo war am Wochenende ein Video der verschwundenen Witwe aufgetaucht. Darin sagte die 56-Jährige, sie brauche Zeit, um zu trauern und sich zu erholen. Freunde gehen davon aus, dass sie an einem geheim gehaltenen Ort streng bewacht wird.

 

Spiegel, 22.08.2017; recherchiert von Jan T. Andersson

 

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