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Wie China Spione im Ausland gegen Tibeter rekrutiert und führt

Im Februar 2017 verhaftete die schwedische Polizei einen dort lebenden ethnischen Tibeter unter dem Vorwurf, er habe „in schwerem Ausmass ungesetzliche Spionagetätigkeiten“ ausgeübt. Der Tibeter namens Dorjee Gyantsan wurde verhaftet, als er mit der Fähre aus Polen die Hafenstadt Nynäshamn erreichte und den Zug nach Stockholm besteigen wollte.

Wie sich herausstellte, kam er von einem Treffen mit seinem Führungsoffizier des chinesischen Ministeriums für Staatssicherheit (MSS), Lei Da, aus der Botschaft in Warschau zurück. Die Organisation Safeguard Defender hat nun seine Geschichte aus dem Teil der Gerichtsakten rekonstruiert, der öffentlich zugänglich ist. Dieses zeichnet interessante Details nach, wie China Spione im Ausland anwirbt und führt.

Dorjee floh 1997 aus Tibet nach Nepal. Dort änderte er seinen Namen von Abdul Ma, den er von seinem Vater aus der muslimischen Hui-Nationalität erhalten hatte, in Dorjee Gyantsan. Nach Annahme seines Asylgesuchs liess er sich 2002 in Stockholm nieder. Hier heiratete er und hat mittlerweile zwei Kinder.

Angeworben wurde er 2009 bei einem tibetischen Anlass in Stockholm, wo er mit einer Person sprach, die sich als Journalist von «China Daily» ausgab. Diese Person war möglicherweise ein MSS-Mitarbeiter der chinesischen Botschaft in Helsinki, und beide trafen sich später auch noch mehrfach auf der Fähre von Stockholm nach Helsinki. Dorjee’s Auftrag lautete, die tibetischen Gemeinschaften in Schweden, Norwegen, Dänemark, Finnland und auch Polen auszuspionieren.

Der schwedische Geheimdienst SÄPO kam ihm 2010 auf die Spur, nachdem der uigurische Spitzel Babur Maihesuti verhaftet worden war. Hier fiel SÄPO die Telefonnummer von Lei Da in die Hände. Da er diese nicht änderte, konnte man die späteren Kontakte zwischen ihm und Dorjee lückenlos nachverfolgen.

Die Gerichtsakten führen Details vor allem der Jahre 2015 bis 2018 auf. Demnach besass Dorjee zwei Telefone; mit dem einen erhielt er Anrufe von Lei Da, der sich anfänglich als «Student» und Sympathisant des Dalai Lama ausgab. Den Anruf nahm er nicht entgegen, dieser diente nur als Signal, ihn mit dem anderen Telefon anzurufen. Ein Gespräch wenige Tage vor dem Staatsbesuch von Xi Jinping in Prag im Jahr 2016 ist detailliert wiedergegeben. Hier fordert ihn Lei Da auf, Personen ausfindig zu machen, die zu Protesten nach Prag reisen wollten und ihm Namen und auch Fotos von ihnen zu übermitteln.

Dorjee reiste häufig mit der Fähre nach Polen, allein 14 Mal seit 2015 bis zu seiner Verhaftung. Nicht selten reiste er in Begleitung anderer nach Polen und traf auf der Fähre auch weitere Chinesen. Die Fähren zwischen Schweden und Polen oder Finnland mit Unterhaltungsangeboten, Glücksspielen und reichlichem Alkoholangebot scheinen generell ein beliebter Ort von Treffen zwischen Spionen und Führungsoffizieren zu sein. In Warschau traf er sich ausser mit Lei Da auch mit anderen MSS-Botschaftsangehörigen; darunter möglicherweise auch Lei Da’s Vorgesetzten mit Verantwortung für grösser angelegte Spionageoperationen. Bis zu seiner Verhaftung hatte er ein breites Netzwerk zwischen Tibetern und Chinesen in Skandinavien und Polen aufgebaut. Bezahlt wurde Dorjee überwiegend in bar; bei seiner Verhaftung trug er US$ 6000 auf sich.

Die tibetischen Gemeinschaften bezeichnen ihn als weitgehend unauffällige Person, die allerdings neugierig gewesen sei und viel gefragt habe. Dorjee habe sich regelmässig an kulturellen Anlässen, nie aber an politischen Aktivitäten beteiligt.

Dorjee wurde 2018 zu 22 Monaten Gefängnis verurteilt; derzeit wartet er in Haft auf seine Ausschaffung aus Schweden. Lei Da wurde unmittelbar nach der Verhaftung von Dorjee aus der chinesischen Botschaft in Warschau abberufen.

Safeguard Defenders, 18. November 2020 // Dr. Uwe Meya

Foto: Tibet Post

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