Behörden zwingen Eltern von tibetischen Kindern, die chinesische Sprache zu lernen. Das Programm wird als neues Element der Assimilationspolitik gesehen, die langfristig die tibetische Sprache und Kultur marginalisieren soll. Mit dem Erlernen der chinesischen Sprache sollen die Eltern ihre Kinder dazu anhalten, ebenfalls verstärkt Chinesisch zu sprechen. Mehr noch, das Programm verlangt, dass Eltern auch zu Hause mit ihren Kindern die chinesische statt der tibetischen Sprache verwenden. Darüber hinaus sollen sich die Eltern verstärkt mit den Gesetzen und Regeln vertraut machen, die sich auf den Gebrauch der Sprache beziehen.
Aus der Provinz Golog im Nordosten Tibets wurden zwischen Februar und März 16 Workshops in einer lokalen Schule abgehalten. In einem der Workshops, am 9. März, hielten die Unterrichtenden die Eltern nicht nur dazu an, ihren Kindern die chinesische Sprache beizubringen, sondern auch das «Denken zu beeinflussen». Das Lehren dieser Sprache sei ein Beitrag zum Verwirklichen des «chinesischen Traums».
Im Bezirk Nyima fand am 12. März ein ähnlicher Workshop statt, der auch von Parteikadern und Behördenvertretern besucht wurde. Die Anwesenden wurden zum Lernen der «Gebrauchssprache», sprich Chinesisch, angehalten und zusätzlich angewiesen, sich mit den Ideen des Präsidenten Xi Jinping vertraut zu machen, um diese in ihren Dörfern zu verbreiten.
Die Kampagne trifft eine überwiegend nomadische Bevölkerung, die noch stärker tibetischen Traditionen verhaftet ist, und ist zu verstehen im Kontext des im Dezember von der Regierung angekündigten Ziels, dass bis 2025 mindestens 85% der Bevölkerung die chinesische Sprache als «Muttersprache» annehmen. Die Kampagne betrifft nicht nur Tibet, sondern auch die Südliche Mongolei. In vielen Schulen sind Banner aufgehängt mit der Aufschrift «Chinesisch ist meine Muttersprache».
Eine Lehrkraft berichtet gegenüber Tibet Watch, dass auch sie verstärkt dazu angehalten werden, nicht nur im Unterricht, sondern auch miteinander in der Lehrerschaft ausschliesslich chinesisch zu sprechen. Das Beherrschen der chinesischen Sprache sei ein grosser Vorteil bei Anstellungen.
In der Provinz Ngaba im Osten Tibets werden vermehrt Polizeikräfte in den Schulen stationiert. Im Namen des «Wohlbefindens und der Sicherheit von Schulkindern» halten die Polizeikader Unterrichtseinheiten zum «Lernen des korrekten Verhaltens» ab und beaufsichtigen darüber hinaus das tägliche Verhalten von Schülerinnen und Schülern.
Tibet Watch, 14. April 2022 // Dr. Uwe Meya
Foto: Tibet Watch