Die NGO Human Rights Watch (HRW) hat einen Bericht publiziert, der das Ausmass erzwungener Massumsiedlungen ganzer Dörfer aus ländlichen Regionen der «Autonomen Region Tibet» aufzeigt. Demnach üben Regierungskader systematischen Druck auf die Bewohner aus, um sie zum Auszug aus ihren angestammten Dörfern zu bewegen. Seit 2016 sind demnach etwa 500 komplette Dörfer mit 140’000 Bewohnern in teilweise mehrere hundert Kilometer entfernte Orte umgesiedelt worden.
Die Auswertung von über tausend Medienberichten zwischen 2013 und 2023, einschliesslich einiger Videoaufnahmen und Augenzeugenberichte, widerlegt die Behauptung der Regierung, dass jeder einzelne Haushalt in freiwilliger Entscheidung zugestimmt habe. In einem Fall hätten sich 200 der 260 betroffenen Haushalte in Nagqu, nördlich von Lhasa, gegen den Umzug in eine mehr als 1’000 km entfernte Siedlung ausgesprochen. In einem anderen Dorf habe sich nur eine einzige Person, ein Mitglied der Kommunistischen Partei, für den Umzug ausgesprochen.
Regierungskader rühmen sich damit, die «freiwilligen» Umzüge mit «Öffentlichkeitsarbeit» und «ideologischer Arbeit von Tür zu Tür» erreicht zu haben. In der Realität hätten Kader wiederholt, manchmal über Jahre, Haushalte besucht und gedroht, bei Verweigerung der Zustimmung würden wichtige Ressourcen wie Strom und Wasser abgeschaltet. Weiter würde Verweigerern gedroht, sie würden wegen «Verbreitung von Gerüchten» mit Strafen belegt. Jedes Dorf müsse eine Konsens-Entscheidung treffen, womit Verweigerer unter zusätzlichen Druck gesetzt werden. Auch setzte die jeweils höhere Behörde die untere unter Druck, um fixe Quoten für die Umsiedlungen zu erreichen.
Umsiedlung individueller Haushalte für einen «höheren Lebensstandard»
Darüber hinaus weist der HRW-Bericht auf ein weiteres Programm hin, das zwischen 2016 und 2020 individuelle, meist arme, Haushalte mit 567’000 Betroffenen in Regionen ausserhalb der «Autonomen Region» umgesiedelt hat. Ihnen wurden oft falsche Versprechungen über höheres Einkommen und besseren Lebensstandard gemacht. Der Lebensstandard hat sich meist in den neuen Siedlungen in urbanen Randgebieten nicht gebessert, weil dort die Kenntnisse in Ackerbau und Viehhaltung nicht relevant sind und die Betroffenen stattdessen schlecht bezahlte Lohnarbeit annehmen müssen.
Selbst offizielle Erhebungen durch wissenschaftliche Institutionen kamen zu diesem Schluss. Eine Umfrage von 2014 über ein vorher durchgeführtes Umsiedlungsprogramm zeigte, dass 69% der Befragten finanzielle Schwierigkeiten hatten und sich 49% wünschten, sie könnten zurück in ihre Herkunftsregion ziehen.
Lauf offiziellen Statistiken sind seit 2000 insgesamt 930’000 Tibeter und Tibeterinnen aus ländlichen Regionen umgesiedelt worden.
Gleichgültig, ob es sich um Umsiedlungen ganzer Dörfer oder einzelner Haushalte handelt, müssen die Bewohner vor dem Wegzug ihre alten Wohnungen demolieren, damit sie keine Möglichkeit zur Rückkehr haben.
Human Rights Watch, 21. Mai 2024 // Dr. Uwe Meya
Bericht: https://www.hrw.org/report/2024/05/22/educate-masses-change-their-minds/chinas-forced-relocation-rural-tibetans
Foto: TAR Propaganda-Abteilung