Berichterstattung aus China: “Wir hoffen, dass Sie objektiv berichten” und „Das Prinzip der Loyalität“ – Was Chinas Führung unternimmt, um Journalisten auf Parteilinie zu bringen

10. Februar 2014

Süddeutsche Zeitung, 30.1.14, Interview: Katharin Tai –
Chinesische Journalisten sind es gewohnt, von Polizei und Behörden drangsaliert zu werden. Korrespondenten in China, die die Staatseliten kritisieren, machen ähnliche Erfahrungen. Schikanen nehmen zu, ein ausgewiesener Journalist erzählt.

In den vergangenen Monaten haben die chinesischen Behörden mehreren ausländischen Journalisten ein Visum verweigert, alleine von der New York Times, die die enormen Besitztümer der politischen Elite des Landes recherchiert und veröffentlich hatte, wurden drei Korrespondenten des Landes verwiesen. Die Wiedereinreise wurde auch dem freien Korrespondenten Paul Mooney verboten.

Wie hat sich inden 30 Jahren, in denen Sie über China berichteten, die Situation ausländischer Journalisten geändert?

Paul Mooney: Es hat keinen wirklichen Fortschritt gegeben. Die einzig gute Neuerung kam im Zuge der olympischen Spiele: Vorher musste man immer einen Antrag stellen, um Beijing zu verlassen und aus anderen Provinzen zu berichten, jetzt nicht mehr. Meistens wurde so ein Antrag abgelehnt, weswegen viele Journalisten illegal die Stadt verliessen. Zumindest den psychologischen Druck, der dadurch entstand, gibt es jetzt nicht mehr. Aber was die Einschüchterung und Überwachung von Journalisten angeht, ist es noch immer wie in den Achtzigern, als ich erstmals aus Peking berichtete.

Wie sieht diese Einschüchterung aus?
Ein Beispiel: Wenn ein Ausländer in einem Hotel eincheckt, muss er immer sein Visum vorzeigen. Die lokalen Behörden wissen dann anhand des Visums sofort Bescheid, wenn ein Journalist anwesend ist, und innerhalb von 15 Minuten können Polizisten am Hotel auftauchen. Mir ist das einmal passiert, als ich in Kashgar im Westen Chinas war: Die Polizisten brachten mich direkt in ein anderes Hotel, folgten mir drei Tage lang und fuhren mich dann zum Bahnhof, wo sie mich in einen Zug setzten. Es kommt auch vor, dass sie in ein Hotelzimmer gehen und Dinge mitnehmen, sodass man weiss, dass sie da waren. Ich habe mir angewöhnt, meine Kamera und meinen Laptop überall mitzunehmen.

Kommt es vor, dass ausländische Journalisten direkt angriffen werden?

Nicht wirklich. Ich denke, dass Peking zu viel Angst vor einem internationalen Aufschrei hat. Während der kurzen „Jasmin Revolution“ 2011 wurde ein Bloomberg-Korrespondent zusammengeschlagen, und die Polizei ging sehr grob mit anderen Journalisten um. Ansonsten habe ich nie von Journalisten gehört, die länger als drei bis fünf Stunden von der Polizei festgehalten wurden.

Behinderten diese Einschüchterungsversuche auch direkt ihre Arbeit?

Wenn man als Journalist von der Polizei festgehalten wird, löschen sie in vielen Fälle alle Bilder von der Kamera. Manchmal beschlagnahmen sie Notizbücher, die man dabei hat. Ich habe angefangen, meine Bilder immer direkt in die Cloud hochzuladen, um sicherzugehen, dass ich ein Back-Up habe.

Ein anderes Problem ist, dass Leute manchmal Angst haben, mit uns zu reden. Einmal hätte ich deswegen eine Geschichte fast vollkommen aufgegeben – es ging um Asbest, und es dauerte zwei Monate, bis ich endlich jemanden fand, der bereit war, anonym mit mir zu sprechen.

Halten Sie die Vorwürfe, dass Chna-Korrespondenten aus Angst ihre Berichterstattung zensieren, für realistisch?

Ich denke, dass „Selbstzensur“ das falsche Wort ist. Diese Restriktionen werden Journalisten immerhin auferlegt und machen es unmöglich, uneingeschränkt zu berichten. Aber ich habe in vielen Gesprächen Sätze gehört wie: „Ich werde weiter über Menschenrechte, Tibet und AIDS schreiben, daber diese eine Sache lasse ich lieber, dass wäre zu viel Ärger.“ Ich frage mich selber, wie oft das vorkommt. Aber ich denke nicht, dass es bei den grossen Medien ein Problem ist, sondern eher für Journalisten kleinerer Organisationen – sie sind ungeschützt und können leichter aus dem Land geworfen werden.

Wissen Sie, warum Sie selber kein neues Visum bekommen haben?

Nicht wirklich. Auf eine Anfrage hin hiess es aus dem Aussenministerium nur, der Antrag sei chinesischen Gesetzen entsprechend abgelehnt worden. Bevor mein Visumantrag abgelehnt wurde, musste ich zu einem neunzig Minuten langen Gespräch in die Botschaft, an dessen Ende es hiess: „Falls wir Ihnen wieder ein Visum geben, hoffen wir, dass Ihre Berichterstattung in Zukunft objektiver sein wird.“ Das war schon ein deutliches Signal, dass meine journalistische Arbeit das Problem war.

 Süddeutsche Zeitung, 30.1.14,  Kai Strittmatter, „Das Prinzip der Loyalität“ – Was Chinas Führung unternimmt, um Journalisten auf Parteilinie zu bringen

Die Arbeit ausländischer Korrespondenten in China mag ungemütlicher werden, aber wirklicher Gefahr setzen sich vor allem Chinas eigene Journalisten aus. Gerade, seit die Presse des Landes begonnen hat, die Grenzen auszutesten, seit immer mehr Reporter sich an Tabus wagen, seit Chinas Zeitungen sich auf einem Markt behaupten und verkaufen müssen. Mutige Journalisten, die für Medien wie das liberale Wochenblatt Südliches Wochenende oder für investigative Wirtschaftsmagazine wie Caijing oder Caixin arbeiten, werden oft bedrängt, verfolgt, zensiert, entlassen und manchmal auch verhaftet, und leisten mitunter doch erstaunliche Arbeit.

Das Committee to Protect Journalists CPJ zählte 2013 die Verhaftung von 30 Journalisten in China, in der Türkei und im Iran waren es noch mehr. Gleichzeitig begann die Regierung im August vergangenen Jahres eine Säuberungskampagne im Internet und in den sozialen Medien, und sie verfolgt unabhängige Blogger. Die Verhafteten waren oft Journalisten wie Liu Hu von der Zeitung New Express in Guangzhou, der einen hohen Beamten des Industrie- und Handelsministeriums der Korruption bezichtigt hatte. Sein Vergehen: die „Verbreitung von Gerüchten“. Darauf stehen seit September 2013 bis zu drei Jahre Haft.

Offiziell dürfen in China nur Journalisten mit amtlichem Presseausweis arbeiten, davon gibt es 300 000. Viele Medien allerdings beschäftigen auch Mitarbeiter ohne den Ausweis. Die 300 000 offiziell registrierten Journalisten überraschte die Staatsführung im vergangenen Jahr mit der Order, sie müssten nun zurück in die Schule: Marxismus-Unterricht, Pflichtfach für alle.

Nur wer die ideologische Schulung mitmachte und eine Prüfung ablegt – die in diesen Wochen abgehalten wrid – bekommt seinen Presseausweis verlängert. Warum? Immer mehr Journalisten würden „die Regeln brechen“, klagte die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua im August 2013. Vor allem das nur schwierig zu kontrollierende Internet sei „zum Schlachtfeld der öffentlichen Meinung geworden“.

Die Pekinger Zeitung Global Times – ein Schwesterblatt des Parteiorgans Volkszeitung – erklärte kurz darauf, es werde mittlerweile, auch unter dem Einfluss des Internets, in Chinas Medien „zu viel Negatives berichtet“. Die „ideologische Qualität“ vor allem der jungen Journalisten lasse zu wünschen übrig. „Zu viel Kritik schadet dem Ruf der Regierung“, mahnte das Blatt und berichtete von einem der Politkurse, in dem der Professor, ein Marxismusexperte, den zwangsverpflichteten Journalisten auseinandersetzte, warum sie sich vor den angeblich „universalen Werten“ des Westens wie Pressefreiheit und Menschenreche in Acht nehmen müssten: „Sie passen nicht unbedingt nach China.“

Die Partei verteilte Studienmaterial wie die Broschüre „Sei ein guter Berichterstatter des chinesischen Traums“, verfasst vom Parteichef der Pressebehörde, Jiang Jianguo. Der „Chinesische Traum“ ist der Slogan des neuen Parteichefs Xi Jinping, Xis Reden werden ausgiebig ausgeschlachtet für die Kurse und den Text. „Anders als in westlichen Ländern“, ist in dem Lehrbuch zu lesen, „ist es die wichtigste Aufgabe der Medien in unseren Ländern, Ohren, Augen, Kehle und Zunge der Kommunistischen Partei und des Volkes zu sein.“

Das nämlich ist Lektion Nummer eins: „Die Medien in unserem Land müssen loyal zur Partei sein, sich der Führung durch die Partei unterordnen und das Prinzip der Loyalität zur Partei zum Prinzip der journalistischen Profession machen.“ Um Marxismus geht es in den Politschulungen letztlich gar nicht: dass die alten Lehren mausetot sind, weiss keiner besser als die Führung der KP. Es geht um einen Akt der Unterwerfung zunehmend eingesinniger Journalisten.