Die chinesische Regierungsweise, eine Bedrohung für unsere Demokratien

7. Mai 2021

Ein Beitrag von René LongetCo-Sektionsleiter der Sektion Romande der Gesellschaft Schweizerisch-Tibetische Freundschaft (GSTF) – in Le Temps, erschienen am 5. Mai 2021

Im Juni 1989 zeigte die blutige Niederschlagung der Studentenrevolte auf dem Platz des Himmlischen Frieden, dass die wirtschaftliche Liberalisierung, in die China damals einstieg, nicht mit einer politischen Liberalisierung einhergehen würde. Doch entgegen Behauptungen, die sich jetzt auch im Westen verbreiten, sind Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und persönliche Freiheiten der chinesischen Mentalität keineswegs fremd. Die alle Völker Chinas umfassende Republik von Sun Yat-sen Anfang des 20. Jahrhunderts sowie der demokratische Charakter Taiwans zeugen davon.

Aber wie in Russland, wo Kerenskis Republik nur einen Sommer währte, gelang es auch in China einer kleinen verschworenen Gruppe, eine Diktatur zu errichten, und die Opfer, die Maos Grosser Sprung nach vorn in den 50er Jahren dem Volk aufzwang, hinkten dem Terror Stalins keineswegs nach.

Seit den 90er Jahren verhält sich China aussenpolitisch immer eindeutiger neokolonialistisch, mit massiven Landankäufen in anderen Kontinenten, Übernahme von Infrastrukturen in krisengeschüttelten und geschwächten Ländern (zum Beispiel der Hafen von Piräus oder die Eisenbahnen in Angola) sowie der „Belt and Road » Initiative, die direkt ins Herz unserer unbesorgten Länder zielt. Dank eines Netzwerks williger angehender Diktatoren verbreitet China nun seine Vorstellungen von Regierungsführung eifrig in den internationalen Gremien.

Das chinesische Regime? Ein System, das alle erdenklichen Überwachungstechniken einsetzt, um anderthalb Milliarden Menschen gleichzuschalten, alle Unterschiede nivelliert, keinerlei Abweichungen toleriert. An die Stelle der Uniformität des maoistischen Blaumanns ist die einer ausufernden Konsumgesellschaft getreten, dessen zerstörerische Wirkung mit der der Kulturrevolution der 60er Jahre durchaus vergleichbar ist.

Nationale Minderheiten“: die doppelte Bestrafung

Und während China in den 80er Jahren noch behauptete, stolz darauf zu sein, 54 „nationale Minderheiten“ auf seinem Herrschaftsgebiet zu beherbergen, genügt heute bereits die Zugehörigkeit zu einer dieser ethnischen Gruppen, um als Dissident angesehen zu werden und ständiger Bedrohung ausgesetzt zu sein. Die Uiguren sind einem regelrechten kulturellen Völkermord ausgesetzt, genau wie sie ihn die Tibeter seit Jahrzehnten auf eine andere Weise erleben.

Sobald die Rote Armee 1950 bis zum Himalaya vorgedrungen war, und nach einigen Jahren während denen ein Schein von Koexistenz möglich schien, wurde es Nacht im „Land des Schnees“. Heute wird das tibetische Volk auf seinem eigenen Territorium nur noch geduldet; wer sich für die tibetischen Sprache einsetzt oder seine Religion im öffentlichen Raum ausübt, riskiert schwere Strafen. Die Partei macht mit ihren allesumspannenden Organisation sogar vor den Klöstern nicht mehr halt, und die Mönche werden genötigt, die ihnen heilige Figur Person des Dalai Lama zu verunglimpfen.

Die Rolle der Schweiz

1950 war Schweiz unter den ersten Ländern, die  Maos Herrschaft über China anerkannten, aber sie war dann auch das Land, das in den frühen 60er Jahren außerhalb Indiens am meisten tibetischen Flüchtlinge aufnahm. Heute leben hier etwa 8.000 Tibeter, deren Präsenz von dem, was sie erleiden mussten, Zeugnis darlegt.

In seiner China-Strategie 2021-2024 unterstreicht der Bundesrat den diktatorischen Charakter des chinesischen Regimes und die zunehmende Unterdrückung der Tibeter und Uiguren. Er hält fest, dass «chinesische Dienste (…) an in der Schweiz ansäs­sigen Diasporagemeinschaften interessiert <sind>» und « anerkennt » bezüglich Taiwan « den demokratischen Charakter der lokalen Behörden und der taiwanesischen Gesellschaft“. Diese Feststellungen nahm der chinesische Botschafter zum Anlass einer höchst undiplomatischen Antwort in der er, zynischer geht es kaum, erklärte, es sei unakzeptabel, den „Entscheid“ des chinesischen Volkes wie es regiert werden möchte in Frage zu stellen!

Die Schweiz „ koordiniert sich (…) mit Staaten, die ähnliche Werte (…) vertreten ». nämlich „die Universalität der Menschenrechte“ und das ist auch unerlässlich. Was die wirtschaftlichen Beziehungen betrifft, ist zu fordern, dass sie unter die strikte Bedingung der Achtung der Menschenrechte, der Arbeitsrechte und der Minderheitenrechte gestellt werden. Unternehmen, die sich aus Aktivitäten zurückziehen, die sie zu Komplizen bei der Verletzung dieser Rechte machen würden, wie Nike oder H&M, die sich weigern, Baumwolle aus Xinjiang zu kaufen, zeigen hier den Weg auf. Es geht um nichts weniger als die Zukunft der Demokratie und das geht uns alle an.