Er nannte Xi Jinping einen «Clown». Dafür muss der chinesische Regierungskritiker Ren Zhiqiang lebenslänglich hinter Gitter

28. September 2020

Der Immobilienmogul Ren Zhiqiang galt als letzter mächtiger Unternehmer, der sich offen gegen Präsident Xi Jinping positionierte. Am Dienstag verurteilte ihn ein Gericht zu achtzehn Jahren Haft.

Am Dienstag hat ein Pekinger Gericht den mächtigen Immobilien-Tycoon Ren Zhiqiang mundtot gemacht: Insgesamt wurde Ren zu achtzehn Jahren Gefängnis verurteilt, was für den 69-Jährigen de facto einer lebenslänglichen Strafe gleichkommt.

Wie so oft in China lässt sich der Fall in zwei Versionen erzählen: Laut dem offiziellen Narrativ handelt es sich um einen riesigen Korruptionsskandal. Ren Zhiqiang, der dem Huayuan-Konzern vorstand, soll als Bauträger Millionenbeträge unterschlagen, Bestechungsgelder angenommen und öffentliche Gelder veruntreut haben. Jene Version passt auch in die öffentlichkeitswirksamen Gelübde von Präsident Xi Jinping, unter den korrupten Eliten des Landes aufzuräumen.

Ein Beitrag von Fabian Kretschmer, erschienen in der NZZ am 22.09.2020. Lesen Sie den Originalbeitrag hier.

Ren mokierte sich über Xi Jinping, dann wurde er verhaftet

Doch viele Experten halten jene Straftatbestände nur für einen Vorwand. Denn Ren galt auch als einer der schärfsten – und letzten – Regierungskritiker, die öffentlich ihre Opposition gegen Chinas Staatspräsidenten zum Ausdruck brachten. Schon vor Jahren haben dem Unternehmer seine undiplomatischen Social-Media-Posts den Spitznamen «Kanonen-Ren» eingebracht. Sein Weibo-Blog hatte – vor seiner Sperrung 2016 – bis zu 30 Millionen Follower. Damals warfen ihm die staatlichen Propagandamedien vor, er wolle eine «westliche Verfassung» anstreben.

Ren Zhiqiangs Vergehen sind in den Augen der Kommunistischen Partei endlos: So mokierte er sich etwa über die Forderung der Staatsführung, dass Chinas Medien ausschliesslich den ideologischen Interessen der Partei folgen sollten. Sein Konter, dass Journalisten vor allem dem Volk verpflichtet seien, erhielt damals viel Zuspruch.

Die rote Linie hatte Ren jedoch endgültig im März dieses Jahres überschritten. Damals prangerte er in einem Essay Präsident Xi höchstpersönlich wegen dessen Krisenmanagement zu Beginn der Corona-Pandemie an. Ohne Xis Namen zu nennen, sprach er von einem «Clown» ohne Kleider, der versuche, den «Kaiser zu spielen». Die Propagandarede von Ende Februar, in der sich Chinas Präsident als unermüdlicher Kämpfer gegen das Virus inszenierte, hielt Ren für eine riesige Lüge. Dass die Regierung keine Verantwortung für die Vertuschung der Corona-Katastrophe übernommen habe, sei symptomatisch für ein «krankes politisches System».

Tatsächlich haben die Behörden damals Virusproben zerstören lassen und Whistleblower in Krankenhäusern mundtot gemacht – in chinesischen Medien jedoch darf darüber nicht berichtet werden.

Jener Essay wurde ursprünglich nur unter Vertrauten geteilt und war nicht für die breite Öffentlichkeit vorgesehen. Wer den Text veröffentlichte, ist bis dato nicht bekannt. Sobald dieser jedoch in den sozialen Netzwerken zirkulierte, wurde Ren im Pekinger Haus seiner Schwester abgeführt und in Untersuchungshaft genommen.

Rens Familie gehörte zur Parteigarde rund um Mao Zedong

Das Verfahren lässt sich am ehesten als Schauprozess bezeichnen, rechtsstaatliche Standards wurden keinesfalls eingehalten. Wie die Hongkonger «South China Morning Post» berichtet, durfte der Beschuldigte seinen eigenen Anwalt überhaupt erst am Prozesstag treffen. Am Tag der Anhörung war das Gebäude von Sicherheitskräften in Uniform und Zivilkleidung umzingelt, auch westlichen Diplomaten wurde der Einlass verweigert.

Jedem Beobachter war von Beginn an klar, dass Ren Zhiqiang nicht glimpflich davon kommen würde. Das harsche Urteil von achtzehn Jahren hat viele Beobachter dennoch überrascht, auch innerhalb Chinas. Wahrscheinlich soll es ein Warnsignal an öffentliche Intellektuelle aussenden. Dabei traut sich unter Xi Jinpings Herrschaft ohnehin kaum jemand mehr, sich öffentlich zu heiklen Themen zu äussern. Regelmässig werden kritische Professoren ihres Postens enthoben, Menschenrechtsanwälte verschwinden über Nacht.

Dabei galt ausgerechnet Ren Zhiqiang noch vor wenigen Jahren für den Sicherheitsapparat als unangreifbar: Zum einen war sein Vater der stellvertretende Handelsminister, Rens Familienmitglieder gehörten zur ersten Parteigarde rund um Mao Zedong. Zum anderen unterhielt der einstige Immobilienentwickler ein reiches Netzwerk von Beziehungen zu erfolgreichen Unternehmern und mächtigen Regierungsbeamten.

Vom Gericht hiess es, der Beschuldigte habe «freiwillig alle seine Verbrechen gestanden» und werde keine Berufung einlegen. Ren hinterlässt in Freiheit zwei Kinder, eine Tochter aus einer früheren Ehe und einen Sohn.

Beitragsbild: AP. Eine rote Linie hatte Ren Zhiqiang überschritten, als er Präsident Xi höchstpersönlich wegen dessen Krisenmanagement zu Beginn der Corona-Pandemie anprangerte.