Festnahme eines Uiguren in Italien lässt chinesische Einflussnahme in Europa befürchten

10. August 2017

Die kurzzeitige Festhaltung eines prominenten Uiguren in Italien vergangene Woche löste bei Menschenrechtsgruppen Alarm aus, denn sie sehen darin ein Zeichen des wachsenden politischen Einflusses Chinas in Europa. Besorgniserregend ist die Rolle, die die internationale Polizeiorganisation Interpol dabei spielte. Seit November 2016 steht sie nämlich unter dem Vorsitz von Meng Hongwei, dem chinesischen Vize-Minister für Öffentliche Sicherheit (1).

Am 26. Juli wurde Dolkun Isa, der Generalsekretär des in München ansässigen Weltkongresses der Uiguren (World Uighur Congress/WUC), von der Polizei in Rom angehalten, als er sich gerade anschickte, zum Italienischen Senat über die Unterdrückung seines Volkes in der westchinesischen Provinz Xinjiang zu sprechen. Herr Isa, der nun einen deutschen Pass hat, wurde in eine Polizeistation gebracht, wo man ihn fotografierte, ihm einen Fingerabdruck abnahm und ihn über drei Stunden lang festhielt.

Die Festnahme wurde ihm gegenüber als Identitätskontrolle hingestellt. Ihm zufolge habe ihm die italienische Polizei jedoch erklärt, dass er aufgegriffen wurde, weil sein Name auf der Interpol Liste der „Roten Ausschreibungen“ (Red Notices) erscheine, die Polizei also in irgendeinem der Mitgliedsländer nach ihm fahnde. China stellte bereits 1997 eine Red Notice gegen ihn aus und setzte Dolkun Isa 2003 auf seine Liste der meist-gesuchten Terroristen. Wie Herr Isa es sieht, eine politisch motivierte Einstufung. „Diese Festnahme war ein Riesenschock für mich, weil ich glaube, dass Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit die Grundwerte des italienischen Staates sind“, sagte er Voice of America. Er zeigte sich entsetzt über die Bereitwilligkeit westlicher Länder, um wirtschaftlicher Vorteile willen dem politischen Druck Chinas nachzugeben.

Es war nicht das erste Mal, dass China versuchte, Herrn Isa daran zu hindern, für die Uiguren einzutreten. Er sagte, dies sei schon zuvor in New York, Süd-Korea, der Türkei und der Schweiz passiert. Der WUC forderte, dass die Europäische Union nachprüfe, ob China Italien bewog, Herrn Isa festzunehmen. „Die EU sollte aufwachen und ihre China-Politik im Hinblick auf politischen Austausch revidieren“, erklärte der WUC-Sprecher Dilxat Rixat. Die EU hat auf die Bitte von Voice of America, sich zu äussern, nicht reagiert.

In China lebende Uiguren klagen schon seit langem über Diskriminierung und die Zwangsassimilierung durch die dominierenden Han-Chinesen. Hunderte von Menschen wurden bei Gewaltausbrüchen zwischen den beiden Gruppen in Xinjiang getötet. Uiguren zufolge sind sie eine Reaktion auf die ethnische Repression. Doch Peking bringt sie mit islamistischem Terror an anderen Orten in Asien in Zusammenhang und antwortet mit immer schärferen Massnahmen. „Ich sagte immer, dass China das uigurische Problem nach der Methode von Zuckerbrot und Peitsche zu lösen versuchte“, erklärte Dru Gladney, Professor für Anthropologie am Pomona College in Kalifornien. „Doch jetzt sieht es so aus, als würde das Zuckerbrot vollständig weggelassen und die Peitsche in zunehmenden Masse eingesetzt“.

Ab September wird der Gebrauch der uigurischen Sprache in allen Schulen in Xinjiang verboten sein. China verbot auch uigurischen Eltern, ihre Neugeborenen „Mohammad“ zu nennen, oder ihnen überhaupt Namen mit „extrem religiöser Bedeutung“ zu geben. „Das ist genau die Politik des kulturellen Genozids der chinesischen Regierung gegenüber den Uiguren“, erklärte Herr Isa Voice of America. „Die uigurische Sprache ist einer der Hauptfaktoren der uigurischern Identität. Mit einem Sprachwechsel können vielleicht 60 Prozent der Identität verloren gehen. Ein weiterer Identitätsfaktor ist die Religion. Deshalb übt die chinesische Regierung jetzt so grossen Druck auf Religion und Sprache aus“, fuhr er fort.

Michael Clarke, ein Dozent am National Security College der Australian National University führte aus, dass Chinas Unterdrückungsmassnahmen die Beklemmung und die Ängste bei den Uiguren nur noch schüren werden. „Es gibt keinen Zweifel, dass eine solche Politik nicht nur die Spannungen zwischen gewöhnlichen Uiguren und Han-Chinesen verschärfen wird, sondern auch die Beziehungen zu staatlichen Institutionen“, meinte der Dozent.

(1) 10.11.2016, Spiegel-Online, Chinese übernimmt Interpol-Spitze, http://www.spiegel.de/politik/ausland/meng-hongwei-ist-neuer-interpol-praesident-a-1120655.html

 

Voice of America, www.voanews.com, 5. August 2017
Übersetzung: Adelheid Dönges, Revision: Angelika Oppenheimer