20min.ch, 17.10.2013, Christoph Bernet –
Der Bundesrat will wirtschaftlich enger mit den Chinesen zusammenarbeiten. Das passt Hilfswerken und Tibetern nicht: Sie hoffen, dass Parlament oder Volk einen Riegel vorschieben.
Es ist ein heisses Eisen, mit dem sich die Aussenpolitische Kommission (APK) des Nationalrats am nächsten Montag beschäftigt: das Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und China, das im Juli unterzeichnet wurde. Der Bundesrat bewertet das Ergebnis der über zweijährigen Verhandlungen mit China positiv: Die Schweizer Wirtschaft werde vom Abkommen profitieren.
Bereits bei der Unterzeichnung hagelte es Kritik. Doch nun wird der Widerstand konkret: Hilfswerke und Tibeterorganisationen fordern von der APK, das Abkommen zurückzuweisen. Am Donnerstag lanciert das Hilfswerk Solidar Suisse eine Onlinekampagne. Ein Video zeigt sieben Plastikgebisse «made in China», die etwas orientierungslos auf einem Parkettboden herumklappern.
Laut Andrea Arezina von Solidar Suisse wird damit das «äusserst magere Ergebnis» des Bundesrats symbolisiert. Das Wort Menschenrechte werde im Abkommen nicht einmal erwähnt.
Tibeter vom Bundesrat enttäuscht
Griffige Massnahmen zum Schutz von Arbeits- und Menschenrechten sowie verbindliche Kontroll- und Überwachungsmechanismen fehlten im Abkommen, obwohl diese Rechte in China systematisch missachtet würden, sagt Arezina.
Auch Migmar Raith, Präsident der Gesellschaft Schweizerisch-Tibetische Freundschaft (GSTF), ist vom Abkommen enttäuscht. Der Bundesrat habe es trotz klarem Auftrag des Parlaments verpasst, sich genügend für Menschenrechte und Nachhaltigkeit einzusetzen. Tibet sei von diesen Aspekten besonders betroffen.
Um den Rohstoffhunger der boomenden Wirtschaft zu befriedigen, beuteten chinesische Unternehmen in der Himalajaregion vermehrt Rohstoffe aus – ohne Rücksicht auf die Bevölkerung oder die Umwelt zu nehmen. «Wenn die Tibeter sich friedlich dagegen wehren, schreitet die chinesische Staatsmacht brutal ein», kritisiert Raith.
«Gefährlicher Präzedenzfall»
Der Tibetexperte Gabriel Lafitte von der australischen Monash-Universität, glaubt, die Schweiz sei blauäugig in die Verhandlungen gestiegen. Freihandelsabkommen würden oft ausschliesslich unter technischen und wirtschaftlichen Aspekten gesehen, dabei hätten sie oft unbeabsichtigte Auswirkungen in anderen Bereichen.
Gerade die ökologischen Auswirkungen für Tibet seien nicht absehbar, so Lafitte. Im Hochplateau von Tibet entspringen die wichtigsten Flüsse Südostasiens. Die negativen ökologischen Konsequenzen des Rohstoffabbaus, der oft in Flussnähe erfolge, könne mehr als eine Milliarde Menschenbetreffen, die im Einzugsgebiet dieser Flüsse lebten.
Dass sich die Schweiz im Freihandelsabkommen ungenügend gegen diese Entwicklungen eingesetzt habe, ist für Lafitte ein gefährlicher Präzedenzfall. «In zukünftigen Abkommen wird sich China weigern, sich bei diesen Fragen von anderen Staaten dreinreden zu lassen.»
«Schweiz hat erfolgreich verhandelt»
Christian Etter, Botschafter des Staatsekretariats für Wirtschaft, der die Verhandlungen mit China leitete, widerspricht: «Wir haben die Menschenrechte und die Nachhaltigkeit nicht für dieses Abkommen geopfert.» China habe sich zur Einhaltung menschenrechtlich verbindlicher Dokumente wie der Uno-Charta verpflichtet. Da China grundsätzlich keine politischen Angelegenheiten in Wirtschaftsabkommen aufnehmen wolle und dies bisher auch noch nie gemacht habe, sei dies ein Erfolg für die Schweiz. Im Abkommen sei die Bedeutung der ökologischen und sozialen Dimension der nachhaltigen Entwicklung klar festgehalten.
Das Parlament hätte es in der Hand, das Abkommen zurückzuweisen – oder es dem fakultativen Referendum zu unterstellen, damit das Volk das letzte Wort hat. Das hat bereits SP-Nationalrat Cédric Wermuth gefordert. Solidar Suisse doppelt jetzt mit einem Brief an alle APK-Mitglieder nach. Doch angesichts der bürgerlichen Mehrheit im Parlament dürften es die Gegner der Abskommens schwer haben.
«Die Schweiz hat sehr gut verhandelt und wird wirtschaftlich vom Freihandel mit China profitieren», erklärt CVP-Nationalrat Gerhard Pfister. Die wirtschaftliche Öffnung werde die Entwicklung der Zivilgesellschaft und die Menschenrechte in China stärken.
«Schweiz muss standhaft bleiben»
Auch SP-Nationalrat Martin Naef, Mitglied der parlamentarischen Gruppe Schweiz-Tibet, geht weniger weit als Parteikollege Wermuth: Er will vom Bundesrat klare Antworten, wie dieser im Rahmen des Abkommens die Einhaltungen von Minimalstandards bei den Arbeitsbedingungen überwachen will. Ausserdem müsse der Bundesrat aufzeigen, wie man China im laufenden Menschenrechtsdialog zu mehr Verbindlichkeit verpflichten könne. «Wenn vom Bundesrat zu wenig kommt, behalten wir uns vor, ein Referendum zu fordern.»
Migmar Raith betont, die Tibeter in der Schweiz seien nicht grundsätzlich gegen ein Freihandelsabkommen. Doch die Schweiz habe beim Freihandelsabkommen zu viele Kompromisse gemacht. Dies habe für direkte Auswirkungen, etwa beim Import von Waren in die Schweiz, die aus Arbeitslagern mit tibetischen Gefangenen stammten. Als demokratischer Rechstaat und Heimat des Roten Kreuzes stehe die Schweiz in der Pflicht, nicht nur auf wirtschaftliche Vorteile zu achten. Hier gehe es um die humanitären Werte der Schweiz: «Ich bin in Tibet geboren, aber lebe seit 52 Jahren hier. Ich hoffe, die Schweiz bleibt standhaft.»
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