Der Bund will ein brisantes, öffentlich kaum bekanntes Abkommen mit China verlängern. Jetzt regt sich politischer Widerstand.
China geht gegen angebliche und tatsächliche Rechtsbrecher härter und härter vor. Am 30. Juni 2020 ist in Hongkong das sogenannte Sicherheitsgesetz in Kraft getreten, das der Grossmacht erlaubt, eigene Polizeibeamte in die Sonderverwaltungszone zu schicken. Seither haben diese in der ehemals britischen Kolonie zahlreiche China-Kritiker – mit zumindest zum Teil willkürlichen Begründungen – verhaftet.
Noch härter geht das Regime gegen die Uiguren in der Region Xinjiang vor. Hier sollen chinesische Sicherheitskräfte mehrere Hunderttausend Muslime in Lagern festhalten und sie politisch und kulturell indoktrinieren. In diesem Sommer erschienen zudem Berichte, gemäss denen es auch zu erzwungenen Sterilisationen und Schwangerschaftsabbrüchen gekommen sei. China bestreitet die Vorwürfe.
Vor diesem Hintergrund ist bemerkenswert: Die Schweiz verhandelt dieser Tage mit China über die Verlängerung eines Abkommens, das die Identifizierung illegaler Chinesen in der Schweiz regelt. Der Vertrag ist in der Öffentlichkeit nicht bekannt, weil ihn der Bund im Gegensatz zu anderen Abkommen nie in seiner amtlichen Rechtssammlung veröffentlicht hat.
Zum Stand der Verhandlungen will sich weder die Schweizer noch die chinesische Seite äussern. Eine Sprecherin des Staatssekretariats für Migration sagt aber: «Die Schweiz ist grundsätzlich an einer Fortsetzung der Identitätsabklärungen im Rahmen der geltenden Vereinbarung interessiert und steht diesbezüglich in Kontakt mit den zuständigen chinesischen Behörden.»
Die Kernpunkte des Vertrags, der im nächsten Dezember ausläuft, sind: Der Bund erlaubt Beamten des chinesischen Ministeriums für öffentliche Sicherheit, in die Schweiz zu reisen und hier die Nationalität und Identität von Personen zu ermitteln, die sich illegal in der Schweiz aufhalten und vermutlich chinesischer Nationalität sind. Ziel ist deren Überführung nach China. So könne die irreguläre Migration bekämpft werden.
Kein «offizieller Status»
Chinas Beamte dürfen sich während zwei Wochen «ohne offiziellen Status» in der Schweiz aufhalten, wie es im Vertrag heisst. In dieser Zeit führen sie unter anderem Befragungen der fraglichen Personen durch und helfen dem Staatssekretariat für Migration bei deren Identifizierung. Sobald feststeht, wer die Personen sind und dass sie über die chinesische Staatsangehörigkeit verfügen, werden sie in ihre Heimat übergeführt. Für die Kosten der chinesischen Missionen kommt die Schweiz auf.
Brisant ist der geheime Vertrag aus zwei Gründen. Erstens: Der Bund erlaubt ausländischen Sicherheitsbeamten nur in Sonderfällen, in der Schweiz operativ tätig zu werden. Chinas Beamte sind ein solcher Sonderfall.
Zweitens: In Anbetracht der gegenwärtigen Menschenrechtslage in China besteht die Gefahr, dass die Grossmacht die in der Schweiz ermittelten Personendaten auch für andere Zwecke verwendet – etwa zur Verfolgung der in die Heimat übergeführten Chinesen und ihrer Angehörigen. Zwar verbietet der Vertrag die Verwendung der Daten für andere als die vereinbarten Zwecke ausdrücklich. Nur kann die Schweiz die Einhaltung dieser Bestimmung kaum überprüfen.
Die Schweiz hatte den Vertrag mit China im Dezember 2015 abgeschlossen. Seither ist er einmal zur Anwendung gekommen, wie die Sprecherin des Staatssekretariat für Migration sagt. Im Juni 2016 sei eine chinesische Delegation in die Schweiz gereist, um hier die Identität illegaler Chinesen zu ermitteln. Details des Aufenthalts sind nicht bekannt. Fest steht aber, dass im fraglichen Jahr dreizehn Chinesen aus der Schweiz nach China übergeführt wurden. Neun hatten gegen die hiesigen Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen verstossen, vier waren abgewiesene Asylsuchende.
Befanden sich unter den Überführten gar Tibeter, denen in China Verfolgung droht? Nein, sagt die Sprecherin des Staatssekretariats weiter. «Bei Personen tibetischer Ethnie wird bei einem negativen Asylentscheid der Vollzug der Wegweisung nach China ausdrücklich ausgeschlossen. Dadurch sind auch Identitätsabklärungen in Zusammenarbeit mit den chinesischen Behörden ausgeschlossen.»
Schliesslich betont das Staatssekretariat für Migration, beim Vertrag handle es sich um eine Verwaltungsvereinbarung. Eine solche werde «in der Regel» nicht veröffentlicht. In der im Internet zugänglichen Rechtssammlung des Bundes finden sich allerdings 131 vergleichbare Verwaltungsvereinbarungen. Daher bleibt der Verdacht, dass der Bund den Vertrag absichtlich nicht publizierte. Selbst zahlreiche Mitglieder der Aussenpolitischen Kommissionen (APK) von National- und Ständerat haben oder hatten bis vor kurzem keine Kenntnis vom Abkommen.
Umstritten ist, ob die Schweiz den Vertrag mit China jetzt verlängern soll oder eben nicht. Zu dieser Frage werde sich der Bundesrat äussern, sagt Damian Müller, FDP-Ständerat und Präsident der ständerätlichen APK. Das Abkommen komme nur zur Anwendung, wenn gegen die fraglichen Personen Entscheide zur Wegweisung nach China vorlägen. «Unter diesen Umständen erachte ich es als richtig.»
«Absolut inakzeptabel»
Demgegenüber sagt Fabian Molina, SP-Nationalrat und Mitglied der nationalrätlichen APK: «Das Abkommen mit China ist absolut inakzeptabel. Es darf nicht verlängert werden.» Die Kooperation in Strafsachen setze voraus, dass es sich beim Partnerstaat um einen Rechtsstaat handle. «Das ist bei China nicht gegeben.»
Ähnlich tönt es bei GP-Nationalrätin und APK-Mitglied Sibel Arslan: «Der Vertrag mit China sollte sofort gekündigt werden. Ich finde es skandalös, dass die Schweiz ein solch autoritäres Regime in dieser Form unterstützt. Mit solchen Verträgen werden unsere Werte wie Freiheit und Demokratie mit Füssen getreten.» Sowohl Sibel Arslan als auch Fabian Molina wollen vom Bundesrat an der APK-Sitzung von morgen Montag Auskunft über das Abkommen und die Verhandlungen dazu.
Auch Schweizer Nichtregierungsorganisationen kritisieren das Abkommen. «Der Staatsvertrag ist sehr heikel», sagt Beat Gerber, Sprecher von Amnesty International. Die Schweizer Behörden müssten garantieren können, dass durch die enge Zusammenarbeit mit den chinesischen Behörden niemand gefährdet werde. «Die Regierung in Peking hat die Repression gegen unabhängige und abweichende Stimmen in den letzten Jahren massiv verstärkt.»
Und Angela Mattli von der Gesellschaft für bedrohte Völker sagt: «Es ist sehr störend, dass Beamte eines Staats, der Menschenrechte systematisch verletzt, in der Schweiz in offizieller Funktion tätig sein dürfen.»
Lesen Sie den Originalbeitrag von Lukas Häuptli erschienen in der NZZ am 22.08.2020 hier.
Foto: Peter Klaunzer/Keystone, Bild vom Originalbeitrag in der NZZ