Ein Forscher an der Universität Leeuwen in Belgien prangert seit mehreren Jahren ethisch problematische genetische Forschung an diversen Volksgruppen in verschiedenen Ländern an. Laut Yves Moreau fanden sich in der wissenschaftlichen Zeitschrift «Molecular Genetics and Genomic Medicine» des renommierten Verlags Wiley auffallend viele Artikel aus China zur genetischen Profilierung von sogenannten «Minoritäten» wie Tibetern, Hui und Mongolen. Es sei laut Moreau nicht immer ersichtlich, ob genetische Proben mit vorheriger Aufklärung und Einverständnis der Probanden entnommen wurden. Bei mehreren Publikationen sind der Polizei nahestehende Organisationen als Sponsoren aufgeführt. Eine Publikation listet einen Angehörigen des Büros für Öffentliche Sicherheit in Tibet als Co-Autor. Die chinesische Polizei ist dafür bekannt, Proben zur sogenannten «forensischen Genetik» zwangsweise von Dissidenten und Wanderarbeitern zu entnehmen.
Genetische Unterschiede zwischen verschiedenen Volksgruppen könnten später zur Verfolgung und Überwachung eingesetzt werden, so die Befürchtung. Mehrere Schreiben von Moreau an die Chefredakteurin des Journals zur Aufklärung der Vorwürfe wurden monatelang nicht beantwortet, schliesslich wurde er immer wieder mit unverbindlichen Erklärungen vertröstet. Unterstützt wurde Moreau auch von dem Gutachtergremium, das eingereichte Artikel vor der Publikation überprüft. Aus Protest gegen das zögerliche Vorgehen von Wiley sind inzwischen 8 der 25 Mitglieder des Gremiums zurückgetreten.
Die zuständige Person für wissenschaftliche Integrität für Publikationen vom Verlag kündigte eine «Untersuchung» an, ohne aber einen Zeitrahmen zu nennen.
Bereits vor 2 Jahren hatte Moreau vom Verlag verlangt, ein Publikationsmanuskript zurückzuziehen, das ein Verfahren zur Gesichtserkennung beschreibt, mit dem man ethnische Gruppen unterscheiden kann. Im letzten Jahr trat der Redakteur eines anderen Journals aus dem Wiley-Verlag, «Annals of Human Genetics», zurück. Er hatte in einer gemeinsamen Erklärung mit Moreau den Verlag aufgefordert, Artikel aus China nicht mehr zu berücksichtigen, jedoch hatte sich Wiley geweigert, diese Erklärung zu veröffentlichen. Aus dem Management von Wiley war zu hören, dass es ansonsten «Probleme mit dem China-Büro» von Wiley gebe.
The Intercept, 4. August 2021 // Dr. Uwe Meya
Foto: Yves Moreau (Foto: The Intercept)