DIIR, tibet.net, 27. Juni 2013 –
Human Rights Watch rief heute China auf, die Zwangsumsiedelung von Tibetern in die „Neuen Sozialistischen Dörfer“ einzustellen, denn diese Politik, etwas, was es in der Post-Mao-Ära noch nie gegeben hat, beraube Millionen von Tibetern ihres Lebensunterhalts und brächte ihre kulturelle Identität in Gefahr.
Ausgehend von ihrem Programm, „eine neue sozialistische Infrastruktur auf dem Lande“ zu schaffen, hat die chinesische Regierung seit 2006 über zwei Millionen tibetische Bauern und Hirten aus ihren traditionellen Wohnstätten verjagt und sie zur Niederlassung in Betonhäusern gezwungen.
Der neue 115 Seiten dicke Report von Human Rights Watch „’Sie sagen, wir sollen dankbar sein’: Massen-Umquartierung und -Umsiedelung in den tibetischen Gebieten in China“ (1) dokumentiert umfassende Rechtsverletzungen: Das reicht von der Abwesendheit eines Mitspracherechts der Tibeter bis zu dem Fehlen einer angemessenen Kompensation, beides Forderungen, die das Völkerrecht im Falle von Zwangsräumungen aufstellt, damit diese gerechtfertigt werden.
Der Report rügt auch Mängel an der Qualität der neuen Häuser, das Nicht-Vorhandensein von Rechtsmitteln bei willkürlichen Entscheidungen der Behörden, und daß diese nicht für die Wiederherstellung der Möglichkeiten zum Erwerb des Lebensunterhaltes sorgen, sowie eine Mißachtung von Autonomie-Rechten, die das chinesische Gesetz für die tibetischen Gebiete nominell garantiert.
Von Human Rights Watch zwischen 2005 und 2012 interviewte Tibeter – sowohl mit bäuerlichem als auch mit nomadischen Hintergrund – sind sich darüber einig, daß der Großteil der umgesiedelten oder umquartierten Leute es nicht freiwillig taten, und auch niemals nach ihrer Meinung gefragt wurden oder Alternativen angeboten bekamen. Sie sagen, daß viele mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hätten, seit sie von ihren angestammten Wohnsitzen vertrieben wurden, daß sie ihre Herden verkleinern oder ihre Häuser abreißen und neu aufbauen mußten. Sie klagen, daß die neuen Siedlungen manchmal schlechter seien, als diejenigen, die sie zuvor bewohnten, und daß viele der von den Lokalbeamten gemachten Zusicherungen, um sie zum Umziehen zu bewegen, niemals erfüllt wurden.
Ein Dörfler aus Gyamda (Jiangda) in der TAR sagte im Juli 2012: „Die Leute in unserem Dorf sind so verzweifelt, weil sie ihre Häuser verlassen und umziehen müssen. Sie haben keine anderen Kenntnisse als über Viehzucht und Ackerbau und nun sollen sie keine nennenswerten Herden und kaum noch Ackerland haben. Wie soll die nächste Generation denn als Tibeter überleben können?“
„In der neuen Siedlung müssen wir alles kaufen, aber wir haben doch kein Einkommen. Ohne Bargeld kann man da nicht existieren. Die 500 Yuan, die die Regierung uns pro Monat gibt, reichen nicht einmal für die Strom- und Wasserrechnungen. Und dann muß man sich die Nahrungsmittel ja selbst kaufen“, sagte ein umgesiedelter Nomade aus der Präfektur Yushu (heute zur Provinz Qinghai gehörend) im Oktober 2009.
Die chinesische Regierung kündigte Pläne an, weitere über 900.000 Menschen in der TAR bis Ende 2014 umzusiedeln oder umzuquartieren, und außerdem 113.000 Nomaden bis Ende 2013 in Osttibet in festen Behausungen seßhaft zu machen, heißt es in dem Bericht.
„Die Tibeter haben bei der Konzipierung dieser Politik, die ihre Lebensweise radikal verändert, nichts zu sagen, und angesichts der ohnehin schon hoch repressiven Umstände, unter denen sie leben müssen, auch keine Möglichkeit zu widersprechen“, erklärte Sophie Richardson, die China-Referentin von Human Rights Watch.
„Die Programme zur massenhaften Umsiedelung und Umquartierung gewaltsam durchzuziehen, und das noch bei den ungeheuer repressiven Maßnahmen, denen die Tibeter sowieso ausgesetzt sind, das wird die Spannungen nur noch aufheizen und die Kluft zwischen den Tibetern und dem chinesischen Staat vertiefen“, fuhr sie fort.
Human Rights Watch appellierte an die chinesische Regierung, alle Projekte, die Massen-Umsiedelung und Massen-Umquartierung beinhalten, zu beenden, und eine unabhängige Bewertung der Ansätze und Auswirkungen dieser Politik zu erlauben, etwa indem sie den schon vielfach vorgebrachten Bitten diverser Sonderberichterstatter des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen, Tibet besuchen zu dürfen, stattgibt.
(1) “‘They Say We Should Be Grateful’: Mass Rehousing and Relocation in Tibetan Areas of China,”
Übersetzung: Adelheid Dönges, Revision: Angelika Oppenheimer
Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM)
Arbeitsgruppe München