Süddeutsche Zeitung, 16.4.14, Kai Strittmatter –
Peking – China wird nicht mit am Tisch sitzen, und doch ist kurz vor dem Ukraine-Krisentreffen am Donnerstag in Genf das Buhlen um Peking in vollem Gange. Am Montag versuchte Deutschlands Aussenminister Frank-Walter Steinmeier in Peking seinem Amtskollegen Wang Yi kritischere Töne gegenüber Russland zu entlocken. Nur einen Tag später, am Dienstag traf Russlands Aussenminister Sergej Lawrow in Chinas Hauptstadt ein, um die „strategische Partnerschaft“ zwischen China und Russland zu beschwören.
Chinas Führer könnten sich geschmeichelt fühlen, doch bereitet ihnen der Konflikt eher Bauchschmerzen: Peking sieht sich in einem Dilemma und flüchtet in unverbindliche Formulierungen, wonach die Lage in der Ukraine „historisch komplex“ sei und China stets „objektiv, gerecht und verantwortungsbewusst“ urteile. Peking hält im Momnent zu allen Seiten Distanz.
Es hat seine Gründe, warum Peking als wichtiger Spieler in dem Konflikt wahrgenommen wird: Für Russland, dessen Beziehungen zum Westen in Scherben liegen, ist China der wichtigste mögliche Alliierte. Gleichzeitig ist China – nach Russland – der zweitgrösste Handelspartner der Ukraine. China hat ebenso ein Interesse an guten Beziehungen zu Moskau wie an guten Beziehungen zu Kiew.
Nicht zuletzt wiederholt China seit Jahrzehnte das Mantra von der heiligen „Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder“. Das von Russland unterstützte Referendum auf der Krim, eine mögliche Abspaltung der Ostukraine, all das ist für die Herrscher in Peking mit dem Blick auf die eigenen Provinzen Tibet und Xinjiang ein Grauen.
Eben noch waren die Beziehungen zu Moskau fast ungetrübt. Aussenminister Wang Yi nannte sie vor dem Volkskongress im März gar „die besten, die es je gab“. Vor allem der Widerstand gegen die „Hegemonie“ des gemeinsamen Rivalen USA schweisst beide Staaten zusammen. Wenn es in den UN um Syrien geht oder um Iran, dann steht China stets auf de Seite Russlands. Die gemeinsamen Marinemanöver vorigen Herbst waren die grössten, die China je mit einem anderen Land unternommen hatte.
Zudem hat sich das Handelsvolumen in den vergangenen zwölf Jahren versiebenfacht, auf 100 Milliarden Dollar, was vor allem am Energiehunger Chinas liegt: China überholte voriges Jahr Deutschland als grössten Abnehmer russischen Öls. Im Mai wird Russlands Präsident Wladimir Putin Peking besuchen, vielleicht gibt es dann Fortschritte bei dem riesigen Gasgeschäft, über das Peking und Moskau schon seit mehr als einem Jahrzehnt verhandeln.
Zugleicht hat Peking grosses Interesse an einer stabilen Ukraine. Auch mit Kiew hat Peking eine „strategische Partnerschaft“ unterzeichnet. Die Ukraine liefert Chinas Armee Rüstungsgüter – so etwa den ersten Flugzeugträger – und Getreide, ein Abkommen von 2013 soll chinesischen Staatsfirmen den Zugriff auf fünf Prozent des ukrainischen Ackerlandes erlauben.
Die vorsichtige Distanzierung von Russlands Vorgehen – China enthielt sich bei der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat – ist nicht ohne Präzedenzfall. Auch bei der Georgien-Krise 2008 verweigerte Peking Moskau seine Unterstützung. So sehr China und Russland einander als Partner brauchen, so wenig ist ihre Liaison eine Herzensangelegenheit. China bekam auch bei seinen Regionalkonflikten von Russland nie die Unterstützung, die es sich wünschte; vor allem Moskaus enge Kooperation mit Japan und Vietnam wird in Peking misstrauisch verfolgt.
Auf der anderen Seite beobachtet Russsland argwöhnisch das Vordringen Chinas nach Zentralasien. Das ist eine Region, die Russland traditionell als seinene Hinterhof ansah – und wo China sich nun mit Milliarden an Investitionen Zugang zu Ressourcen und Einfluss kauft. Staats- und Parteichef Xi Jinping besuchte im September Turkmenistan, Kasachstan, Usbekistand und Kirgistan, alles Länder, die ihr Öl und Gas in Zukunft auch an China verkaufen werden. China spricht oft von einem „neuen Band der Seidenstrasse“.
In Peking werden nun sehr wohl die Gesten aus Moskau registriert, die zum Beispiel ein mögliches Entgegenkommen in den lange feststeckenden Gasverhandlungen andeuten. Oder jenes Interview mit China Daily, in dem sich Aussenminister Lawrow jüngst sichtlich bemühte, die „Schönfärberei“ des „japanischen Militarismus“ zu verdammen. Aus ihrem Dilemma erlösen diese werbenden Worte Chinas Fürhung allerdings nicht.
Aus westlicher Sicht gibt es noch einen Grund, nun den Blick auf China zu werfen: Peking studiert die Reaktionen des Westens auf Russlands Vorgehen genau, schliesslich hat China im ost- und südchinesischen Meer selbst Territorialkonflike mit Nachbarländern. Daniel Russel, im US-Aussenminsterium für die pazifische Region zuständig, sagte Anfang April, die Sanktionen gegen Russland müssten deshalb so ausfallen, dass sie auch einen „abschreckenden Effekt haben auf jeden in China, der die Annexion der Krim zum Vorbild nehmen wollte“.