Presseberichte zum Anschlag in Peking: Chinas Militär schaltet sich ein!

4. November 2013

Die Zeit, 31.10.13 –
Chinas Militär will nach Anschlag Terroristen im Inland jagen

Peking (dpa) – Chinas Armee will auf den Anschlag in Peking mit einer Jagd nach Terroristen reagieren. Uiguren und Tibeter stehen bereits im Fokus. Experten prophezeien eine Gewaltspirale.

Die Soldaten seien bereit, im Auftrag der Regierung gegen jede Form von Terrorismus zu kämpfen, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums laut Nachrichtenagentur Xinhua am Donnerstag. Am Vortag hatte die Polizei die Attacke vom Montag erstmals als Terrorakt bezeichnet, bei dem fünf Menschen starben und 40 verletzt wurden.

TianmenAttacke

Hinter dem Anschlag sollen Terroristen aus der westchinesischen Provinz Xinjiang stehen. China hatte daraufhin dort sowie in Tibet die Polizeikontrollen verschärft. Auf den Strassen der Provinzhauptstadt Ürümqi patrouillierten mehr Polizisten und es seien Strassensperren eingerichtet worden, berichteten lokale Hotelangestellte am Donnerstag auf Anfrage. Auch in Tibet wurden laut einem Bericht des US-amerikanischen Senders Radio Free Asia (RFA) Polizeikontrollen ausgeweitet.

Unklar ist allerdings, wie sich die Armee nach ihrer Ankündigung in den Kampf gegen Terrorismus einschalten will. Schon jetzt sind im ganzen Land Kräfte der Militärpolizei stationiert, die der 2,3 Millionen Mann starken Volksbefreiungsarmee unterstehen sollen. Das Verteidigungsministerium war nach der Ankündigung nicht erreichbar. Bei der regulären Pressekonferenz am Donnerstag waren ausländische Journalisten nicht zugelassen.

Die Staatszeitung „Huanqiu Shibao“ schrieb am Donnerstag vom ersten schweren Anschlag von Terroristen aus Xinjiang in der chinesischen Hauptstadt. Am Montag hatte sich ein Geländewagen im Zentrum Pekings durch eine Menschenmenge gerammt und war vor dem Kaiserpalast in Flammen aufgegangen. Im Wagen verbrannten nach Angaben der Polizei drei Terroristen. Fünf Komplizen sollen ihre Beihilfe bereits gestanden haben. Bei den Attentätern und Verdächtigen soll es sich um muslimische Uiguren aus der Provinz Xinjiang handeln.

Für den US-amerikanischen Uiguren-Experten Dru Gladney war der Angriff vom Montag nicht das Werk einer Terrororganisation. „Es wäre falsch, das einem Dschihad oder Al-Kaida in die Schuhe zu schieben“, sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Der Vorfall sehe eher nach der Arbeit von wenigen Personen aus. „Das ist ein erneutes Beispiel für die Unzufriedenheit der Uiguren.“

In der westchinesischen Provinz Xinjiang prallen immer wieder muslimische Uiguren und Han-Chinesen blutig aufeinander. Nach dem Anschlag in Peking geht Ulrich Delius von der Gesellschaft für bedrohte Völker von stärkeren Repressalien gegen Uiguren aus. „Diese Verfolgung wird wiederum mehr Gewalt von Uiguren auslösen. Es ist ein fataler Kreislauf“, warnte Delius laut Mitteilung. Die Gewaltspirale werde weiter angeheizt.

Der Spiegel, 29.10.13:  Tödlicher Zwischenfall in Peking:

Chinas Polizei fahndet nach Uiguren

Was steckt hinter dem mysteriösen Unfall mit fünf Todesopfern auf dem Tiananmen-Platz? Chinesische Behörden gehen offenbar von einem Selbstmordanschlag aus. Berichten zufolge verdächtigen sie zwei Uiguren – und ermahnten örtliche Hotels zu erhöhter Wachsamkeit.

Peking – Ein rätselhafter Vorfall auf dem zentralen Tiananmen-Platz sorgt für Anspannung in Peking. Einen Tag, nachdem ein Auto vor der Verbotenen Stadt in eine Menschenmenge gerast war, fahnden chinesische Behörden Berichten zufolge nach zwei Männern mit uigurischen Nachnamen aus der Unruheprovinz Xinjiang. Bei dem Zwischenfall am Montag waren die drei Insassen des Wagens sowie zwei Touristen ums Leben gekommen und 38 Menschen verletzt worden, wie die Polizei mitteilte.

Ein schlichter Verkehrsunfall? Oder eine politische Aktion? Inzwischen gehen die Behörden von einem Selbstmordanschlag aus, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet. „Es sieht nach einem geplanten Selbstmordanschlag aus“, zitiert die Agentur eine mit den Ermittlungen vertraute Person. „Das war kein Unfall. Der Geländewagen durchbrach Barrikaden und steuerte in die Passanten. Die drei Männer hatten keine Absicht zu fliehen.“ Es werde jedoch weiter ermittelt. Die Identitäten jener drei Personen, die sich zum Zeitpunkt des Unfalls im Wagen befanden, seien noch ungeklärt.

In einer Mitteilung an Hotels in der Stadt erfragten die Ermittler laut der Nahrichtenagentur AP Informationen über zwei Männer, einen Geländewagen sowie vier Nummernschilder aus der westchinesischen Provinz Xinjiang. In Xinjiang gibt es seit Jahrzehnten Spannungen zwischen der ethnischen Minderheit der Uiguren und der zugezogenen Han-Bevölkerung. Ein Polizeisprecher bestätigte die Anfrage gegenüber der staatlichen Zeitung „Global Times“, aber äusserte sich nicht, ob sie mit dem Vorfall vom Montag in Zusammenhang steht.

Der Fall wirft auch ein Schlaglicht auf die zweifelhafte Informationspolitik der chinesischen Führung. Die Medien berichteten äusserst zurückhaltend über den tödlichen Vorfall. Er wurde meist nur auf dem unteren Teil der Titelseiten erwähnt. Praktisch alle Zeitungen druckten dabei den Bericht der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua, der sich auf den Rettungseinsatz konzentrierte und nicht auf die möglichen Hintergründe des Vorfalls einging.

Platz ist einer der bestbewachten Orte Chinas

Die ersten Nachrichten waren am Montag – wie üblich – über Chinas Kurznachrichtendienst Sina Weibo bekannt geworden. Um etwa 12.05 Uhr (Ortszeit) war ein Geländewagen auf dem Vorplatz zum Eingang der Verbotenen Stadt gegen eine Steinsäule geprallt und in Brand geraten. Passanten posteten Handy-Fotos, die eine Rauchsäule über dem Tiananmen-Platz zeigten. Sofort aber wurden diese Bilder und alle Posts, die sich auf den Vorfall bezogen, aus dem Netz gelöscht.

Ausländische Journalistenbüros erhielten Anrufe von Beamten der Öffentlichen Sicherheit, die sich erkundigten, ob die Korrespondenten planten, über den Vorfall zu berichten. Gleichzeitig wurden die U-Bahn-Station Tiananmen-Ost geschlossen und die Umgebung des Unfallorts weiträumig abgesperrt. Touristen, die die Verbotene Stadt besuchen wollten, wurde mitgeteilt, Pekings wichtigste Attraktion sei für den Rest des Nachmittags geschlossen. Zwei AFP-Reporter wurden vorübergehend festgenommen. Vor ihrer Freilassung wurden Bilder von ihren Kameras gelöscht.

Der Eingang zur Verbotenen Stadt ist einer der politisch sensibelsten und deshalb bestbewachten Orte Chinas. Vom Balkon des grossen roten Torbogens, auf dem immer noch sein Bild prangt, rief Mao Zedong 1949 die Volksrepublik China aus. 40 Jahre später, am 4. Juni 1989, versammelten sich gegenüber auf dem Platz des Himmlischen Friedens Tausende Studenten, um gegen Korruption und für mehr Meinungsfreiheit zu demonstrieren.

Seither patrouillieren Tag und Nacht Dutzende Sicherheitsleute in Uniform und Zivil. Auf den zahlreichen Laternenmasten sind Hunderte von Videokameras angebracht. Trotzdem kam es in den vergangenen Jahren immer wieder zu kleinen Demonstrationen, die allerdings binnen Minuten von Beamten der Öffentlichen Sicherheit im Keim erstickt wurden.

 

Schweizer Rundfunk, 29.10.13: China vermutet Uiguren hinter Anschlag

Urs Morf, Peking

Chinas Polizei geht offenbar davon aus, dass der Zwischenfall vom Montag auf dem Tiananmen-Platz in Peking ein Anschlag war – verübt durch Uiguren. Fünf Menschen wurden dabei getötet, 38 weitere verletzt.

Am Montag hatte auf dem Pekinger Tiananmen-Platz ein Geländewagen eine Metallsperre durchbrochen, war durch die Menschenmenge gerast und schliesslich direkt unter dem riesigen Mao-Porträt in Flammen aufgegangen. Zudem habe es eine Explosion gegeben, nachdem das Auto mehrere Personen überfahren hatte, berichteten Augenzeugen.

In der Folge durchkämmte die Polizei gemäss chinesischen Medien in Peking Hotels nach Gästen, die der Minderheit der Uiguren angehören. Laut Agenturberichten war der Geländewagen mit Nummernschildern der Region Xinjiang ausgestattet.

Die Uiguren leben in der westchinesischen Region Xinjiang, die an Zentralasien angrenzt. Ähnlich wie in Tibet kommt es dort immer wieder zu Aufständen, wegen der grossen Zahl von han-chinesischen Einwanderern.

Tiananmen: Das Herz der Nation.

Der Pekinger Tiananmen-Platz mit dem Mao-Porträt am Tor des Himmlischen Friedens vor dem Eingang zum einstigen Kaiserpalast gilt für viele Chinesen als Herz der Nation. Er ist deshalb immer wieder Schauplatz von politischen Kundgebungen – aber auch von Gewalttaten.

1989 versammelte sich hier während Wochen die Demokratiebewegung, bevor sie blutig niedergeschlagen wurde. 2001 kam es auf dem Platz zu einem Selbstverbrennungsversuch von Anhängern der verbotenen Sekte Falungong. Und 2007 versuchte ein junger Uigure, mit einer Brandflasche das Mao-Porträt zu zerstören.

Falls sich der Verdacht eines Autobomben-Selbstmord-Attentats erhärten sollte, wäre das freilich ein Novum.

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.10.13: Nach Anschlag in Peking

China verstärkt Kontrollen in Xinjiang und Tibet

Chinas Antwort auf den Anschlag im Zentrum Pekings sind mehr Kontrollen von Uiguren und Tibetern. Polizisten patrouillieren durch die Provinzhauptstadt Urumqi, Flüge in die Region werden stärker kontrolliert.

China hat mit strengeren Polizeikontrollen in der Unruheprovinz Xinjiang und in Tibet auf den Terroranschlag am Kaiserpalast in Peking reagiert. Hinter der Attacke vom Montag sollen nach offiziellen Angaben Terroristen aus der westchinesischen Provinz Xinjiang stehen. Nun patrouillieren mehr Polizisten auf den Strassen der Provinzhauptstadt Urumqi. Viele Autos würden kontrolliert, berichteten lokale Hotelangestellte am Donnerstag. Laut Staatsmedien sollen zudem Flüge von und in die Region strengeren Sicherheitsvorschriften unterliegen. Auch in Tibet wurden laut einem Bericht des amerikanischen Senders „Radio Free Asia“ Polizeikontrollen ausgeweitet.

Am Montag war ein Geländewagen im Zentrum Pekings durch eine Menschenmenge gefahren und vor dem Kaiserpalast in Flammen aufgegangen. Die drei Insassen des Wagens sowie zwei Touristen kamen dabei ums Leben, 40 Menschen wurden verletzt. Die Polizei geht davon aus, dass der Mann und die beiden Frauen im Auto ihren Wagen gezielt in Brand setzten. Fünf mutmassliche Komplizen waren am Montag verhaftet worden. Am Mittwoch sprach die Polizei erstmals von einem Terroranschlag. Bei den Attentätern und Verdächtigen soll es sich um muslimische Uiguren aus der Provinz Xinjiang handeln.

Die Staatszeitung „Huanqiu Shibao“ schrieb am Donnerstag vom ersten schweren Anschlag von Terroristen aus Xinjiang in der chinesischen Hauptstadt. Das Blatt rief in einem Kommentar zu erhöhter Wachsamkeit auf. Die staatliche Zeitung „China Daily“ beschrieb die Attentäter als „religiöse Terroristen“.

In der westchinesischen Provinz Xinjiang geraten immer wieder muslimische Uiguren und Han-Chinesen aneinander. „Es gibt ganz offensichtlich eine falsche politische Strategie in der Region“, sagte Dru Gladney. Während sich Uiguren diskriminiert fühlen, schickt Peking immer mehr Sicherheitspersonal für den „Kampf gegen Terroristen und Separatisten“ in die Provinz.

Süddeutsche Zeitung, 31.10.13: Pekings Saat geht auf

von Kai Strittmatter

Unter dem Porträt von Mao Zedong setzen sich in Peking drei Uiguren mit ihrem Wagen in Brand und reissen vorsätzlich unbeteiligte Menschen mit in den Tod. Wenn die Version stimmt, die Chinas Polizei am Mittwoch in Umlauf brachte, so ist das eine neue Stufe der Eskalation. Dann hat der seit Jahren schwelende Konflikt in der fernen Provinz Xinjiang das Herz des Landes erreicht.

Falls es den Insassen des Wagens um Aufmerksamkeit für die Sache ihres Volkes ging, war ihr Anschlag auf den ersten Blick erfolgreich. Tatsächlich aber war er nicht nur grausam, sondern gerade für die Sache der Uiguren dumm und kontraproduktiv. Chinas Sicherheitsbehörden, von denen sich viele Uiguren unterdrückt fühlen, werden das Attentat dagegen als Geschenk begreifen. Erstmals haben sie einen anschaulichen Beleg für ihre bislang höchst gewagte These von uigurischen Terrorismus. Die Repression in Xinjiang könnte jetzt noch schärfer werden – und das Ressentiment überall in China noch stärker. Uiguren werden schon heute als Bürger zweiter Klasse behandelt, Hotels verweigern ihnen Zimmer, Fluglinien Plätze an Bord, Polizisten greifen sie auf den Strassen willkürlich heraus.

Der Sicherheitsapparat sagt, er bekämpfe den Extremismus in Xinjiang. In Wirklichkeit tut er sein Bestes, Extremisten zu schaffen. Wenn sich Pekings Politik nicht ändert, steht das Land möglicherweise am Anfang einer Gewaltspirale.