Die Welt, 26.10.15, Sascha Lehnartz –
Grossbritanniens Premier Cameron hat einen Plan für sein Land: Er will es an China verkaufen – so sehen es seine Kritiker. Nach dem pompösen Staatsbesuch von Präsident Xi erntet Cameron Spott und Häme.
Kurze Presseschau zum Besuch des chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Großbritannien: Die „Times“ veröffentlichte eine Karikatur, die den chinesischen Präsidenten zeigt, wie er das Flugzeug nach China über eine Treppe buckelnder Briten besteigt. Bei den Bücklingen handelt sich um David Cameron, den Schatzkanzler George Osborne, Prinz Philipp und die Queen.
Auch in einem Cartoon des „Guardian“ winkt Xi seinen Gastgebern beim Abflug noch einmal zu: Zu erkennen sind Osborne und Cameron in Fetischkostümen passionierter Masochisten. Die „Times“ legte nach mit der Zeichnung einer Souvenirtasse, auf der Xi unter dem Logo „Großer britischer Ausverkauf“ eine Krone trägt. Daneben hocken Cameron und Schatzkanzler George Osborne als lechzende Hündchen. Das Adjektiv „verheerend“ wäre für dieses Medienecho ein Euphemismus.
Deutlich freundlicher fielen die Reaktionen in Peking aus. Jedenfalls für Xi. Die Titelseiten der „Armeezeitung“, der „Volkszeitung“, sowie der „Pekinger Tageszeitung“ zeigten alle dieselben Bilder, die die Zensur mit gewohnter Sorgfalt kuratiert hatte: Xi neben der Queen, Xi beim Abschreiten der Bärenfellmützen-Ehrenformation, Xi neben Prinz William, Xi neben Prinz Charles. Von David Cameron war in der chinesischen Presse gefühlt nichts zu sehen.
Nicht nur in der medialen Wahrnehmung erscheint die vorläufige Bilanz des Besuches unausgewogen. Man wird den Verdacht nicht los, Cameron verfolge das außenpolitische Ziel, das Vereinigte Königreich in eine chinesische Kronkolonie zu verwandeln. Schmackhaft machten die Briten ihrem Gast dies mit zahlreichen verkaufsförderenden Maßnahmen.
Die Queen liess den Präsidenten in ihrer schicksten Kutsche mitfahren und gönnte ihm zwei Nächte im Buckingham Palast. Dort liesssie Hirschfleisch von ihrem Landgut Balmoral servieren und zur Begrüßung freundliche James-Bond-Melodien intonieren („Nobody Does it Better“). Die übrigen Mitglieder der Royal Family: warfen sich allesamt in Schale. Prinzessin Kate kam sogar im China-roten Kleid und trug Krönchen. Lediglich Prince Andrew fiel aus der Rolle: Bei Xis Rede schlief er nach den ersten drei Sätzen ein.
Es wurde überhaupt unglaublich viel Rot getragen. Durch ganz London schien ein roter Teppich zu laufen, überall hingen rote Fahnen. Leute, die keine Lust hatten, rote Fahnen zu schwenken, sondern lieber für Menschenrechte, Tibet und sonstiges Gedöns demonstrieren wollten, wurden sicherheitshalber außer Rufweite platziert. Stattdessen organisierte die chinesische Botschaft in London über die sozialen Netzwerke eine ausreichend große Zahl Jubel-Chinesen, die ihren Präsidenten in vorbildlich einheitlichen Outfits vom Wegesrand zujubelten.
„Bester Freund im Westen und offenster Partner“
Der Einzige, der die Hinweise auf den verbindlichen roten Dresscode nicht gelesen hatte, war David Cameron. Der trug die blaue Krawatte, die er immer trägt. Den Lapsus versuchte er auszubügeln, indem er Xi in den für solche Zwecke betriebenen Vorzeige-Pub in der Nähe seines Landsitzes Chequers schleppte und ihm dort ein schaumreiches, lauwarmes Greene King Bier kredenzte.
Die chinesische Delegation war von den begleitend servierten Fish ’n‘ Chips deutlich mehr angetan als vom Hirsch aus Balmoral. Unklar ist noch, wie sich die Tatsache auswirkt, dassCameron Xi in Manchester nicht zu dessen in Rot spielenden Lieblingsklub Manchester United führte, sondern ihn stattdessen beim in Babyblau antretenden Lokalrivalen Manchester City FC mittrainieren ließ.
Neben all diesen Freundlichkeiten boten Cameron und Osborne den Chinesen die Möglichkeit, rund 40 Milliarden Pfund in die britische Industrie und Infrastruktur zu investieren. An zwei Atomkraftwerken werden die Chinesen sich beteiligen, das dritte bauen sie gleich selbst. Da Cameron den britischen Staat nicht mehr in Verkehr, Schwerindustrie und Energiewirtschaft investieren lassen möchte, überlässt er das Feld dem chinesischen Staat. Warnungen besorgter Sicherheitspolitiker schlägt er in den Wind. Großbritannien wolle Chinas „bester Freund im Westen und offenster Partner“ sein, schwärmte Cameron wie ein geopolitisch verknallter Teenager.
Im Gegenzug bieten die Chinesen: fast nichts, außer der Aussicht, Großbritannien irgendwann vollständig aufzukaufen. Bis es so weit ist, wird das Vereinigte Königreich für seine Anstrengungen mit lyrischen Ergüssen der chinesischen Diplomatie entlohnt. Diese pries bislang Pakistan als „allwetterfesten Partner“ in den höchsten Tönen. Pakistan hatte China schließlich nach dem Tiananmen-Massaker 1989 geholfen, die Sanktionspolitik des Westens zu beenden. Beinahe so freundlich wird die Bundesrepublik als „umfassender, strategischer, kooperativer Partner“ gelobt, schließlich macht auch dieser Wirtschaftspartner in der Regel erfreulich wenig Aufhebens um Menschenrechte, wenn es etwas zu verkaufen gibt. Großbritannien darf sich ab jetzt rühmen, von Xi als „globaler, umfassender strategischer Partner für das 21. Jahrhundert“ genannt zu werden. Ein fairer Preis für den Verkauf der nationalen Souveränität.
Mitarbeit: Stefanie Bolzen und Eva Ladipo aus London, Johnny Erling aus Peking