Handelsblatt, 12.4.12, Finn Mayer-Kuckuk –
Ein spanischer Richter macht die Exporteure des Landes nervös: Er hat einen chinesischen Ex-Präsidenten wegen Menschenrechtsverletzungen in Tibet vorgeladen – nun könnte sich Peking rächen.
Wer es heutzutage wagt, sich mit der jungen Supermacht China anzulegen, muss wirtschaftliche Konsequenzen befürchten. Nach Japan oder Norwegen droht nun Spanien, bei den Pekinger Parteifürsten als nächstes in Ungnade zu fallen: Ein Gericht in Madrid hat einen Haftbefehl gegen den ehemaligen chinesischen Präsidenten Jiang Zemin erlassen. China droht nun mit Vergeltung – und macht die spanische Regierung damit zunehmend nervös. Das spanische Recht weist eine Besonderheit auf: In Menschenrechtsfragen fühlen sich die Gerichte des Landes auch für Verbrechen verantwortlich, die in anderen Ländern begangen wurden. Diesen Umstand haben tibetische Gruppen genutzt, um die chinesische Regierung wegen Folter und Völkermord zu verklagen. Gegen Ex-Präsident Jiang erging der Haftbefehl, weil er in der betreffenden Zeit in China politisch verantwortlich war.
Die Vorladung hing seit November in der Schwebe und ist nun rechtskräftig geworden. Das offizielle China hat – wie erwartet – sofort laut aufgeschrien. „Die Dalai-Clique versucht, unser Land zu spalten, und Spanien fällt darauf herein“, sagt eine Sprecherin der Regierung. Sie spielt damit auf den exilierten Führer der Tibeter an, den Dalai Lama. „China ist sehr unzufrieden und verurteilt die Fehler der spanischen Behörden.“ Spanien könnte richtig nicht mehr von falsch unterscheiden. Ein Haftbefehl könnte die Beziehungen zwischen den Ländern beschädigen, hatte Peking schon vor der Gerichtsentscheidung gewarnt.
Solche Aussagen sind sehr ernst zu nehmen. Sie gehen häufig einer Eiszeit im Handel mit China voraus. „China nutzt Handelsbeziehungen als Mittel der Aussenpolitik“, urteilt eine ältere Studie der Universität Göttingen zu diesem Thema. Wer sich gegen Chinas stelle, müsse mit messbaren Einbussen rechnen. Wenn der Vertreter eines Landes den Dalai Lama treffe, verliere es in den folgenden zwei Jahren im Schnitt acht Prozent seiner Ausfuhr in das Reich der Mitte, ermittelten die Göttinger Forscher.
China und EU handeln jeden Tag für mehr als eine Milliarde Euro
Das ist vermutlich der Grund dafür, dass der zuständige Generalstaatsanwalt im Auftrag der Regierung in Madrid versucht hat, das Urteil zu stoppen – vergeblich, denn der Richter kann unabhängig über diese Fragen entscheiden. Zumindest künftig will die Regierung nun verhindern, dass die Justiz ihr aussenpolitische Probleme einbringt. Sie hat einen Gesetzentwurf verabschiedet, der die universelle Zuständigkeit spanischer Gerichte für Menschenrechte einschränken soll. Dafür votierten die Abgeordneten der rechtskonservativen Volkspartei (PP) von Ministerpräsident Mariano Rajoy, die im Parlament über die Mehrheit verfügen. Die linksgerichtete Opposition und Menschenrechtsgruppen kritisieren den Gesetzentwurf als ein Zurückweichen vor wirtschaftlichem und diplomatischem Druck. Der PP-Parlamentssprecher Alfonso Alonso hatte vor der Abstimmung argumentiert, das Konzept der „universellen Justiz“ müsse eingeschränkt werden, weil die hoch gesteckten Erwartungen nicht erfüllt und lediglich Konflikte mit anderen Ländern ausgelöst würden.
Auf der anderen Seite hat die chinesische Regierung eine Neigung, fremde Länder insgesamt für die Handlungen ihrer Institutionen haftbar zu machen. Sie wirft Regierung, Presse, Justiz und sogar die Unternehmen in einen Topf. Diese Haltung entstammt den Verhältnissen im eigenen Land: In China selbst ist alles von den allein regierenden Kommunisten gelenkt. Die Medien stehen unter Aufsicht, die Richter sind weisungsgebunden und eine Mehrheit der Grossunternehmen gehört dem Staat.
Das hat unter den europäischen Ländern vor allem Norwegen zu spüren bekommen. Ein Ausschuss des Parlaments in Oslo entscheidet über den Friedensnobelpreis. Zu den so geehrten Persönlichkeiten gehörte 1989 auch der Dalai Lama und 2010 der Menschenrechtler Liu Xiaobo. Zwischen Norwegen und China herrscht schon lange eine Eiszeit. Es finden beispielsweise keine gegenseitigen Staatsbesuche statt. Delegationsreisen sind jedoch enorm wichtig, um Zugang zur chinesischen Wirtschaft zu erhalten, wie deutsche Firmenvertreter bestätigen.
Auch Handelsgespräche zwischen Norwegen und China sind eingefroren. Der Marktanteil von norwegischem Lachs in China ist seit 2010 von 92 Prozent auf unter 30 Prozent gefallen. Peking verlange von der Regierung in Oslo eine offizielle Entschuldigung, sagt Yan Xuetong vom Institut für internationale Beziehungen an der Tsinghua-Universität. „Es fällt schwer, Ausländern zu verzeihen, die eine kritische Einstellung gegenüber China zeigen.“ Auch wenn das Land dadurch international unsouverän wirkt, gefällt es sich derzeit in seinem neuen Einfluss.
Während das Ölland Norwegen eine Delle in Lachsexport mühelos verkraftet, werden die Wirtschaftspolitiker in Spanien nervös. Das Land ist von der Eurokrise gebeutelt, die Arbeitslosigkeit immer noch hoch. China wiederum ist inzwischen einer der grössten Investoren in Europa. Die steigenden Importe des aufsteigenden Landes bieten gerade der europäischen Agrarwirtschaft zudem riesige Chancen. Allein im Jahr 2011 ist der Export von Schweinefleischprodukten aus Spanien um 300 Prozent gestiegen. China macht insgesamt knapp zehn Prozent der spanischen Ausfuhr aus.
Die spanischen Bauern haben also von dem Gerichtsurteil wesentlich mehr zu fürchten als Jiang Zemin, der vorgeladene Ex-Präsident. Chinesische Spitzenpolitiker reisen nach ihrem Abtritt ohnehin nicht ins Ausland – sie sollen den aktuellen Amtsinhabern nicht die Schau stehlen. Der 87-Jährige hat vermutlich seit 2002 das Land kein einziges Mal verlassen. Eins ist nun jedoch sicher: Wenn Jiang doch noch einmal ins Flugzeug steigt, wird Spanien nicht zu seinen bevorzugten Zielen gehören.
Spaniens Allgemeine Zeitung, 10.2.14
Völkermord in Tibet: Spanien jagt China-Bosse! „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“
Wegen Völkermordes in Tibet lässt Spanien jetzt nach dem früheren chinesischen Staatspräsidenten Jiang Zemin fahnden.
von Wilhelm Wagner
Richter Ismael Moreno erliess am Montag am Nationalen Gerichtshof in Madrid internationale Haftbefehle für den 87-jährigen Jiang, den 85 Jahre alten Li, den Ex-Sicherheitschef Qiao Shi, den früheren Parteisekretär in Tibet, Chen Kuiyan, und die Ex-Ministerin für Familienplanung, Peng Peiyun. Moreno folgte damit einem Beschluss der vierten Kammer des Gerichtshofs vom vergangenen November.
Den Ex-Politikern wird eine Beteiligung an der Unterdrückung von Regimegegnern in Tibet in den 1980er und 1990er Jahren zur Last gelegt. Eine Initiative aus Tibet hatte in Madrid Klage eingereicht und den Beschuldigten Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen.
Das Gericht liess das Gesuch zu, weil weder die chinesische Justiz noch der Internationale Strafgerichtshof wegen der Vorwürfe Ermittlungen angestellt hatten und einer der Kläger die spanische Staatsbürgerschaft besitzt.
Süddeutsche Zeitung, 12.2.14
Spanien verärgert China
Madrid – Die von Spaniens Justiz angeordnete Verhaftung des früheren chinesischen Präsidenten Jiang Zemin und des ehemaligen Regierungschefs Li Peng verärgert die Staatsführung in Peking.
„China ist zutiefst zunzufrieden und lehnt die falschen Handlungen der spanischen Stellen ab“, sagte Aussenamtssprecherin Hua Chunying am Dienstag. Der Vorfall betreffe „die solide Entwicklung der bilateralen Beziehungen“. Peking hoffe darauf, dass Spanien „angemessen mit dieser Angelegenheit umgeht“.
Der Nationale Gerichtshof hatte auf Ersuchen tibetischer Menschnrechtler bei Interpol Haftbefehle gegen Jiang, Li und drei weitere Spitzenfunkitionäre aus China beantragt. Ihnen werden Völkermord, Folter und Verbrechen gegen die Menschlichkeit an Tibetern in den Achtiger- und Neunzigerjahren vorgeworfen.
AFP
Deutsche Welle, 12.2.14
Spanien stoppt seine Staatsanwälte
In kaum einem anderen Land ist die Justiz so eifrig bei der Verfolgung internationaler Menschenrechtsverletzungen wie in Spanien. Doch damit ist jetzt Schluss, entschied das Parlament.
Das Abgeordnetenhaus in Madrid nahm einen von der konservativen Regierung von Ministerpräsident Mariano Rajoy eingebrachten Gesetzentwurf zur Einschränkung des Prinzips der sogenannten universellen Rechtsprechung an. Die Reform soll nach Vorstellung der Regierung schon in etwa zwei Monaten in Kraft treten.
Dann wird die spanische Justiz international nur noch ermitteln dürfen, wenn Täter oder Opfer von Menschenrechtsverletzungen Spanier beziehungsweise in Spanien lebende Ausländer sind. Bei der Debatte vor der Abstimmung warf die linksgerichtete Opposition der Regierung im Parlament vor, sich „dem Druck mächtiger Länder“ zu beugen.
Haftbefehle gegen frühere chinesische Führung
Gemeint ist damit die Volksrepublik China. Am Montag hatte ein Richter am Nationalen Gerichtshof Spaniens in Madrid internationale Haftbefehle für den früheren chinesischen Staatspräsidenten Jiang Zemin, für Ex-Regierungschef Li Peng und für drei weitere ehemalige Spitzenfunktionäre des kommunistischen Landes erlassen. Richter Ismael Moreno warf ihnen die politische Verantwortung für Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Genozid und Folter in Tibet in den 80er und 90er Jahren vor.
Die Zuständigkeit spanischer Gerichte begründete Moreno mit dem Prinzip der „universalen Justiz“ oder „Weltrechtsprinzip“. Es gestattet nationalen Justizbehörden die Verfolgung von Straftaten, die keinen Bezug zum Inland haben, aber internationale Rechtsgüter verletzen, etwa die Menschenrechte.
Drohungen aus Peking
Peking reagierte natürlich verärgert auf die Attacke aus Spanien. „China ist zutiefst unzufrieden und lehnt die falschen Handlungen der spanischen Stellen ab“, sagte eine Sprecherin des Aussenministeriums. Der Vorfall betreffe „die solide Entwicklung der bilateralen Beziehungen“, weshalb Peking darauf hoffe, dass die spanische Regierung „angemessen mit dieser Angelegenheit umgeht – und richtig und falsch zu unterscheiden vermag“. Es handele sich um einen „durchschaubaren“ Versuch des Dalai Lama, des geistlichen Oberhaupts der Tibeter, China „zu spalten“, erklärte die Ministeriumssprecherin weiter.
Neben dem Tibet-Fall müssen die spanischen Staatsanwälte jetzt auch laufende Ermittlungen zu Verstössen gegen die Menschenrechte unter anderem im Irak, in Guatemala, El Salvador, und in Ruanda zu den Akten legen.
Aktivitäten wie dies geradezu legendären spanischen Untersuchungsrichters Baltasar Garzón wird es nicht mehr geben. 1998 hatte Garzòn veranlasst, dass der chilenische Ex-Diktator Augusto Pinochet in London vorübergehend festgenommen wurde. Garzóns Ermittlungen zu Menschenrechtsverletzungen im US-Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba brachten die US-Regierung auf. Auch Garzons Untersuchungen israelischer Bombenangriffe gegen die Zivilbevölkerung im Gazastreifen führten zu diplomatischen Spannungen zwischen Spanien und Israel.