Meditation

Meditation im tibetischen Buddhismus

Vajrayâna

Charakteristisches Merkmal der Meditation des Vajrayâna – der tibetischen Form des Buddhismus – ist die Anrufung und Visualisation von Gottheiten. Diese Meditationen sind als eine Art ‘Training des Geistes’ zu verstehen und dienen dazu, höhere Bewusstseinszustände zu erlangen. Der Ablauf der einzelnen Anrufungen kann stark vereinfacht in folgende Schritte unterteilt werden:

  • Zuflucht nehmen beim geistigen Lehrer (Lama), beim Buddha, der buddhistischen Lehre und der Mönchsgemeinschaft
  • Anrufen des persönlichen Schutzgottes (yidam)
  • Meditieren über die buddhistischen Haupttugenden und Entwickeln derselben in sich selbst, was schliesslich zum Entstehen des sogenannten ‚bodhicitta‘ (altruistischer Erleuchtungsgeist) führt
  • Meditation über die Leerheit alles Seins
  • Anrufen der Gottheit beziehungsweise Gottheiten
  • Opferdarreichungen
  • ‘Kreieren’ der Gottheit: Vorstellen der Basis, auf der später die entsprechende Gottheit steht oder sitzt, Vorstellen der ‚Keimsflbe‘ der entsprechenden Gottheit, ihres Emblems und schliesslich der ganzen Gottheit. Am Schluss versucht die meditierende Person eine Einheit zwischen sich selbst und der von ihm erschaffenen Gottheit herbeizuführen
  • Auflösung in die sogenannte Leerheit: Realisieren, dass alles – der die Opfer Darreichende, die Opfer und die Gottheit, welche die Opfer erhalten hat – eins sind, beziehungsweise ‚leer‘ sind. Die Dualität aufzuheben durch das Erfahren des nicht dualen Zustandes der Leerheit, dies ist das Ziel jeder meditativen Übung des Vajrayana.

Leere

Was aber ist diese Leere? Mit dem Aufkommen des sog. Grossen Fahrzeuges (Mahayana) innerhalb des Buddhismus ist über die Welt und deren Erscheinungen sehr viel nachgedacht und diskutiert worden. Der Mahayana-Buddhist vertritt wie alle Buddhisten die Ansicht, die Welt sei leidvoll, bedingt entstanden, vergänglich und ohne Selbst. Er fügte jedoch noch eine weitere ‚Eigenschaft‘ hinzu: Alle Dinge sind für den Mahayana Buddhisten leer. Das bedeutet, alle Dinge sind in Tat und Wahrheit ohne Qualitäten, sind frei von Dualität. Erst durch unser unterscheidendes und strukturierendes Denken kommt es zur Bildung von Dualitäten, von Eigenschaften und damit zur ‚Existenz‘ von Dingen. Leere ist eine Bezeichnung für die letztendliche ‚Eigenschaftslosigkeit‘ aller sogenannten Dinge. Da in seinem tiefsten Grunde alles eigenschaftslos ist, gibt es folglich keine Unterschiede zwischen Objekt und Subjekt, zwischen leidvollem Lebenskreislauf und Nirvana, zwischen einem Buddha und einem, der noch nicht erleuchtet ist.

Methoden

Doch wie kann diese Leere realisiert werden? Der tibetische Buddhist bedient sich mehrerer Methoden, die sich teilweise ergänzen. Die Meditation über symbolische Darstellungen auf Rollbildern (Thang kas) ist eine dieser Methoden. Dabei sollte nicht übersehen werden, dass diese Rollbilder nur Mittel zum Zweck sind, Hilfsmittel, die nur während einer bestimmten Phase der geistigen Entwicklung angewandt werden.

Martin Brauen
24.04.1997

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