Tibetische Landarbeiter werden in Massen «umerzogen» und transferiert

23. September 2020

Ein Bericht der Jamestown Foundation (Washington DC) beschreibt ein umfassendes Regierungsprogramm, das den massenhaften Transfer von Landarbeitern in «Umerziehungsprogramme» mit nachfolgender Umsiedlung in andere Regionen beschreibt. Zum ersten Mal handele es sich um ein breit geplantes Programm mit vorher zentral festgesetzten Quoten. Dieses System hat auffallende Ähnlichkeiten mit dem Umerziehungslagern in der Provinz Xinjiang, wenngleich in Tibet dafür noch keine willkürlichen Verhaftungen oder offen physische Misshandlungen bekannt wurden. Das Bindeglied dürfte der derzeitige Sekretär der Kommunistischen Partei in Xinjiang, Chen Quangou, sein, der das gleiche Amt vorher in der «Autonomen Region Tibet» ausübte. Hier entwickelte und probte er die jetzt in Xinjiang angewendeten repressiven Praktiken, die weltweit Empörung hervorriefen.

Weitere Details zu diesem Programm wurden durch gründliche Recherchen der Nachrichtenagentur Reuters publik, die sich auf öffentlich zugängliche Dokumente der örtlichen Behörden stützen.

In der «Autonomen Region Tibet» (TAR) wurde dieses Programm im vergangenen Jahr lanciert, das nach offiziellen Angaben der «Armutsbekämpfung» dienen soll. Es beinhaltet ein gross angelegtes, systematisches und zentral überwachtes Training von «überflüssigen Landarbeitern» mit nachfolgendem Transfer in andere Regionen Tibets oder chinesische Provinzen, gesteuert je nach Bedarf von Wirtschaftssektoren. Die Hirten und Landarbeiter werden dabei umgeschult, um etwa für Fabrikarbeit, Bauarbeit, oder Gastronomie zur Verfügung zu stehen. Allein in den ersten sieben Monaten in diesem Jahr wurden etwa 500’000 Tibeter – das sind 15% der Bevölkerung der TAR – «trainiert». Ziel dieser Trainings sei nach offiziellen Angaben, die «niedrige Arbeitsmoral» zu stärken, «rückwärtsgewandtes Denken» zu verhindern und den «negativen Einfluss der Religion» zu schwächen, um so «faule Personen zu eliminieren».

Das Programm wird zentral gesteuert, und Betroffene werden je nach «Order» von Firmen in Gruppen trainiert und nachfolgend transferiert. Dafür werden Quoten ausgegeben, die die lokalen Funktionäre erfüllen müssen; andernfalls werden sie bestraft. Für Lhasa beträgt laut Reuters die diesjährige Quote für Training und nachfolgenden Transfer 1’000 Personen, für Shigatse 1’300 Personen. Personen oder Agenten, die dieses vermitteln, erhalten laut Reuters pro transferierte Person eine fixe Geldprämie.

Vorbereitet werden diese “Trainings” in sogenannten «Erziehungssitzungen». Laut staatlichen Medien wurden allein in der Region um Lhasa über 1’000 dieser Veranstaltungen abgehalten, in denen die Anwesenden die «Obhut der Partei» erfahren und schätzen sollten. Das Programm beinhaltete Gesänge, Tänze und Kurzaufführungen in einer «leicht verständlichen Sprache». Ein offizielles Dokument in der Region Nagqu von Dezember 2018 beschreibt den Besuch von Offiziellen bei 57’800 Landarbeitern, deren Daten zur Vorbereitung solcher Veranstaltungen erfasst wurden, um so die Mentalität von «ich will nicht, ich kann nicht, ich traue mich nicht» anzugehen.

Die Trainings selbst finden in Lagern statt, unterliegen militärischem Drill und werden oft von Militäroffizieren geleitet. Bilder in staatlichen Medien zeigten etwa glücklich lächelnde Tibeterinnen in Militäruniform, die zu Kellnerinnen umgeschult werden. Wenngleich kein offener Zwang ausgeübt wird wie in Xinjiang, ist es für Betroffene kaum möglich, sich dem zu widersetzen. Bedenklich ist zudem, dass bei dieser Gelegenheit die Betroffenen oft gedrängt werden, gleich «freiwillig» ihren Verzicht auf Land oder Vieh zu erklären, welches dann in Kommuneneigentum überführt wurde.

Der Transfer in tibetische Regionen oder umliegende Provinzen erfolgt in Gruppen von meist 10 bis 30 Personen unter Aufsicht von «Teamleadern». Die Gruppen leben in Kollektivunterkünften, wobei die «Teamleader» weiter verantwortlich bleiben für «Erziehungsaktivitäten und die Bekämpfung von Heimwehkomplexen». Die Regierung bleibe laut internen Dokumenten verantwortlich für «hinterbliebene Ehefrauen, Kinder und Alte».

Der Autor der Jamestown-Studie, Adrian Zenz, bezeichnet dieses Programm als «eindeutigste und gezielteste Attacke auf die tibetische Lebensweise seit der Kulturrevolution».

Jamestown Foundation und Reuters, 22. September 2020 // Dr. Uwe Meya

Foto: Images: Different views of the “Chamdo Golden Sunshine Vocational Training School” in the Chamdo region of eastern Tibet: The facility at ground level. (Image source: https://bit.ly/2Rr6Ekc) // Tibetan women in military fatigues are trained how to be restaurant waitresses. (Image source: Sina, July 27, 2020)