Tod eines hohen tibetischen Gelehrten in Vietnam: Offene Fragen

17. April 2025

Am 2. April verstarb in Hoh-Chi-Minh-Stadt der hoch angesehene tibetische Gelehrte Tulku Hungkar Dorje. Er war der 10. Abt als Inkarnation des Thronhalters des Lungngong-Klosters im osttibetischen Golog. Zahlreiche offene Fragen bleiben zu den Todesursachen.

Anfang 2024 war er in Golog verhaftet worden, angeblich weil er sich weigerte, dem von China eingesetzten, aber in Tibet nicht anerkannten Panchen Lama anlässlich seiner Reise durch tibetische Klöster einen angemessenen Empfang zu bereiten. Der Panchen Lama besuchte während einer ausgedehnten Reise mehrere Klöster. Die Behörden hätten die Bevölkerung zur Teilnahme an Belehrungen gedrängt und teilweise dafür sogar Geldprämien versprochen. Die Anklage an Tulku Hungkar Dorje lautete auf «Ungehorsam gegen Behörden» und «Verursachung von Störungen». Seit dem 21. Juli 2024, wo er eine Belehrung gab, wurde er in der Öffentlichkeit nicht mehr gesehen. Angeblich wurde er im August von der lokalen Polizei verhört und musste Fingerabdrücke abnehmen lassen. Der Vorwurf lautete hier, er habe entgegen den Verboten mehrere Langlebensgebete für den Dalai Lama ausgerichtet. Ende September verschwand er spurlos. Während die Behören später als Grund ein «längeres Retreat» angaben, vermuten ihm Nahestehende, er habe sich wegen der wiederholten Schikanen nach Vietnam abgesetzt.

Am 25. März wurde Tulku Hungkar Dorje offenbar in einer konzertierten Aktion von vietnamesischer Polizei und chinesischen Agenten in einem Hotel in Hoh-Chi-Minh-Stadt verhaftet. Am 1. April rief die Verwaltung des Lungngong-Klosters die Mönche zu einer Versammlung zusammen und präsentierte die Todesbescheinigung, die den Mönchen aber nicht ausgehändigt wurde. Die Mönche wurden gezwungen, eine Erklärung zu unterzeichnen, in der sie bestätigen sollten, dass Tulku Hungkar Dorje «eines friedlichen Todes» während seines Retreat gestorben sei. Am 5. April brach eine fünfköpfige Mönchsdelegation gemeinsam mit offiziellen Behördenvertretern nach Vietnam auf, um seinen Leichnam nach Tibet zu überführen. Es wurde den Mönchen aber nicht gestattet, seinen Leichnam zu besichtigen. Auch waren sie von einem Treffen der Behördenvertreter mit Personal von der chinesischen Botschaft in Hoh-Chi-Minh-Stadt ausgeschlossen. Am 8. April mussten die Mönche Vietnam verlassen, nachdem sie sich geweigert hatten, ein Dokument zu unterzeichnen, in dem sie den Tod bestätigten. Angeblich befindet sich der Leichnam noch immer in Vietnam.

Geboren 1969, war Tulku Hungkar Dorje hoch angesehen wegen seines philanthropischen Wirkens und seiner Verdienste um die Erziehung in tibetischer Kultur und Religion. Er studierte in Indien und den USA, bevor er 2002 nach Tibet zurückkehrte und als Abt inthronisiert wurde. Er gründete 2004 eine gemeinnützige Stiftung, die sich um Bedürftige kümmerte, gründete 14 Schulen mit kostenloser Erziehung für Kinder vorwiegend aus nomadischen Familien sowie eine Technische Hochschule mit 1,000 Studierenden, und war Autor von 20 Büchern über tibetische Kultur und Religion.

Central Tibetan Administration, 5. April 2025
International Campaign for Tibet, 9. April 2025
Australia Tibet Council, 10. April 2025

Dr. Uwe Meya