Im Entwurf zur China-Strategie kritisiert das Aussendepartement die autoritäre Politik Pekings sehr deutlich. An der Handelspolitik aber soll sich kaum etwas ändern.
Lesen Sie hier den Originalbeitrag von Stefan Bühler, Lukas Häuptli , erschienen in der NZZ am Sonntag am 31.01.2021.
Es wird wohl wieder Ärger geben. Schon als Aussenminister Ignazio Cassis letztes Jahr im «Sonntags-Blick» sagte, die Menschenrechtsverletzungen in China nähmen zu und er sei besorgt über die Entwicklungen in Hongkong, reagierte Peking scharf: Die Vorwürfe seien unbegründet, nicht konstruktiv, eine Einmischung in innere Angelegenheiten, entgegnete ein hoher Funktionär in Peking. Das war im August.
Diese Woche hat Cassis’ Aussendepartement nun den Entwurf der seit langem erwarteten China-Strategie in der Bundesverwaltung in die Konsultation geschickt. Der «NZZ am Sonntag» liegt sie vor. Bei der Lektüre des Papiers, welches das Parlament in Auftrag gegeben hat, zeigt sich: Der Aussenminister in Bern hat sich von der Reaktion aus Peking nicht beeindrucken lassen. An mehreren Stellen wird die Menschenrechtslage in China ungewöhnlich deutlich kritisiert. Gleich zu Beginn: «Autoritäre Tendenzen haben in den letzten Jahren zugenommen, ebenso wie die Repression gegen Andersdenkende und die Verfolgung von Minderheiten.» Ein paar Seiten weiter: «Wie kaum ein anderer Staat nutzt China die Möglichkeiten der Digitalisierung (…) auch zur sozialen Disziplinierung.»
Kein Wandel durch Handel
Offiziell führt Bern mit Peking seit 1991 einen Menschenrechtsdialog. Doch die Bereitschaft Chinas, über Menschenrechtsfragen zu diskutieren, habe in den letzten Jahren abgenommen, hält das Aussendepartement fest. In der Tat: Das letzte Treffen fand im Juni 2018 in Peking statt. «Seither wurden weitere Dialogrunden von China abgesagt, sei es als Reaktion auf die Beteiligung der Schweiz an multilateraler Kritik zur Situation in Xinjiang oder mit Verweis auf die Covid-19-Pandemie», heisst es im Papier. «Zugleich hat sich die Situation in China mit Bezug auf Meinungsäusserungsfreiheit, Schutz der Privatsphäre, Rechte von Minderheiten sowie Druckversuche gegenüber Menschenrechtsverteidigern deutlich verschlechtert.» Trotzdem will das Aussendepartement am Menschenrechtsdialog festhalten – anders als etwa Frankreich, Schweden oder Kanada. Die Schweiz unterstreiche damit «die Bedeutung, welche sie den Menschenrechten im Rahmen der bilateralen Beziehungen beimisst».
Mit der neuen Strategie verabschiedet sich das Aussendepartement vom Prinzip «Wandel durch Handel»: Die Hoffnung, wonach die marktwirtschaftliche Öffnung und das Entstehen einer wohlhabenden Mittelklasse auch eine politische Liberalisierung mit sich bringen würden, habe sich nicht realisiert. «Weder Handel noch Internet haben zu einem entsprechenden Wandel Chinas geführt», heisst es. Und: «China wurde wohlhabender, aber nicht freier.»
Was heisst das nun aber für die künftige Politik von Bern gegenüber Peking? Möglichst keinen Bruch. So lautet die Antwort, möchte man die China-Strategie in drei Worten zusammenfassen. Schon im ersten Satz seines Vorworts kommt Cassis auf die 70-jährigen, engen diplomatischen Beziehungen zu sprechen. Und im zweiten Abschnitt auf die über tausend Schweizer Unternehmen in China. «Heute ist China nach der EU und den USA der drittwichtigste Handelspartner der Schweiz.»
Doch haben just zwischen diesen drei Handelspartnern die Spannungen zuletzt zugenommen. Hier möchte sich die Schweiz als Vermittlerin anbieten, als «Brückenbauerin», wie mehrmals betont wird. Dabei will der Bund auch das internationale Genf als Trumpf ausspielen. In dieser Rolle dürfe die Schweiz erwarten, «dass ihre Eigenständigkeit international respektiert und sie nicht mit Entweder-oder-Forderungen konfrontiert wird». Man verwahrt sich gegen aussenpolitische Vereinnahmung.
Wirtschaftliche Interessen
Innenpolitisch erteilt Cassis jenen Kräften eine Absage, die vom Bund mehr Distanz gegenüber Peking fordern: «Eine Abkehr der Schweiz von China hätte keine Wirkung auf Chinas innenpolitische Entwicklung, würde hingegen Schweizer Interessen schaden.» Diese sind vornehmlich wirtschaftlicher Natur: Von Millionen von Touristen aus China ist die Rede, von den Chancen für die Cleantech- und die Finanzindustrie. Auch die Mitwirkung von Schweizer Firmen beim Aufbau der neuen Seidenstrasse wird als Chance genannt, jenem international umstrittenen Projekt, mit dem China in meist armen Ländern Infrastrukturen baut und finanziert. Hier verfolge der Bund einen «konstruktiven und zugleich vorsichtigen Ansatz», heisst es im Strategiepapier. Sinngemäss heisst das: Die Schweiz macht mit, äussert aber ihre Kritik und pocht auf die Einhaltung internationaler Standards.
«Zielkonflikte gehören zur Politik» heisst es im letzten Kapitel des Papiers. Dabei zieht sich das Dilemma «wirtschaftliche Interessen versus Schutz der Menschenrechte» wie ein roter Faden durch den Entwurf der neuen China-Strategie. Es sieht so aus, als wollte Cassis dieses Problem lösen, indem er gegenüber China die Einhaltung der Menschenrechte und internationaler Standards lauter und deutlicher einfordert – jedoch so, dass die enge wirtschaftliche Zusammenarbeit möglichst nicht leidet.
Foto vom Originalbericht: Aussenminister Ignazio Cassis empfängt seinen chinesischen Amtskollegen Wang Yi. (Bern, 22.10.2019)