China-Strategie: FDP warnt vor «Selbstzensur»

8. Februar 2021

Die FDP kritisiert in ihrer neuen China-Strategie das Regime in Peking heftig. Die Schweiz müsse Demokratie und Menschenrechte dezidiert verteidigen.

Lesen Sie hier den Originalbeitrag von Ladina Triaca erschienen am 06.02.2021 in der NZZ am Sonntag.

Was waren die Freisinnigen stolz auf ihren Bundesrat Johann Schneider-Ammann. Im Sommer 2013 reiste der damalige Wirtschaftsminister nach Peking und unterzeichnete als erster Politiker vom europäischen Festland ein Freihandelsabkommen mit China. Seine Partei lobte die ausgehandelten Wettbewerbsvorteile und hoffte, dass die wirtschaftliche Öffnung Chinas mit einer Demokratisierung einhergehen würde. «Die FDP [ist] der Ansicht, dass mehr Handel in China die Mittelschicht und somit deren politische Mitsprache stärkt», schrieb die Partei damals. Es war die verbreitete Hoffnung auf Wandel durch Handel.

Nun, acht Jahre später, müssen die Freisinnigen einräumen, dass die Erwartung naiv war: «Der ­chinesische Mittelstand ist zwar grösser geworden, das Land aber deswegen nicht demokratischer», sagt FDP-Ständerat Damian Müller. Im Gegenteil: Es werde immer offensichtlicher, wie sehr die Bürgerinnen und Bürger überwacht und unterdrückt würden.

Seine Partei arbeitet deshalb an einem Kurswechsel. Diese Woche hat die FDP-Spitze eine neue China-Strategie verabschiedet. Darin kritisiert sie die chinesische Führung scharf: «Die Kommunistische Partei regiert das Land autoritär, die Menschenrechtslage und die Situation von Minderheiten sind prekär.» Und: «Peking hintertreibt die universelle Idee der Menschenrechte auf der internationalen Ebene gezielt.» Die Schweiz dürfe keinesfalls «Selbstzensur» betreiben und über kritische Themen wie die Umerziehungslager für Uiguren oder die Proteste in Hongkong hinwegsehen. Die Partei mahnt zur Vorsicht: «China betreibt systematisch wirtschaftliche Spionage. Schweizer Firmen sind gut beraten, sich vor chinesischen Eingriffen in acht zu nehmen.» Deutliche Worte der Wirtschaftspartei. Gleichzeitig will sie am Geschäft mit China festhalten. So lautet eine der Kernbotschaften des Papiers: Handel und Dialog sind fruchtbarer als Abschottung und Sanktion.

Das erinnert an die China-Strategie von FDP-Bundesrat Ignazio Cassis, über welche die «NZZ am Sonntag» vergangene Woche berichtete. Das Aussendepartement will den Handel mit China ebenfalls nicht einschränken, die Einhaltung von Menschenrechten und internationalen Standards künftig aber lauter einfordern. Der Gesamtbundesrat wird sich in den nächsten Wochen mit dem Papier befassen. Danach werden die Aussenpolitiker des Parlaments darüber diskutieren.

FDP-Politiker Damian Müller ist Präsident der aussenpolitischen Kommission des Ständerats. Er sagt, die freisinnige China-Strategie sei unabhängig von Cassis’ Plänen entstanden. «Ich konnte seine China-Strategie noch gar nicht lesen.» Sein Interesse für das Land habe sich vor zweieinhalb Jahren verstärkt, als er Johann Schneider-Ammann auf einer Reise nach Zentralasien begleitete. «Ich habe gesehen, wie China für die neue Seidenstrasse Eisenbahnlinien mitten durch Länder wie Usbekistan, Kasachstan oder Aserbaidschan baut.» Die zunehmend aggressive Aussenwirtschaftspolitik macht ihm Sorgen. «Afrika wird von China dominiert, und in Osteuropa und auf dem Balkan setzen die Chinesen strategische Punkte.» Zudem findet Müller es «hochproblematisch, dass Mittelmeerstaaten ihre Häfen an die Chinesen verschachern».

Zwar hat sich die FDP im Parlament gegen rigide Investitionskontrollen gewehrt. Bei wichtigen Infrastrukturen wolle man künftig aber kritisch hinschauen, sagt Müller: «Wir dürfen die Aktienmehrheit bei Wasserkraft­werken oder Spitälern niemals an Länder wie China abgeben.»

Und was hält die Partei heute vom Freihandelsabkommen, das Bundesrat Schneider-Ammann einst aushandelte? Das Abkommen bringe beiden Seiten Vorteile, sagt Müller. Allerdings sehe die FDP darin keinen politischen Hebel, um auf China einzuwirken. Eine Sistierung des Abkommens – wie es etwa die SP nach den Berichten über die Uiguren-Lager forderte – würde nicht zu einer Demokratisierung führen. «Das ist illusorisch», sagt Müller. Vielmehr will die Partei das Abkommen als Eingangstür nutzen, um Menschenrechtsfragen «unmissverständlich zu adressieren». Ob sich die freisinnigen Hoffnungen diesmal erfüllen, dürfte sich erst in ein paar Jahren zeigen.


Foto vom Originalbeitrag: Peter Klaunzer / Keystone