«Produziert in Hollywood, zensiert von Beijing»

25. August 2020

Unter diesem Titel publizierte kürzlich die Schriftstellervereinigung PEN America einen kritischen Bericht über die Selbstzensur der Filmindustrie in den USA, wenn es um das Thema Tibet geht.

Die beiden 1997 produzierten Filme «Kundun» über das Leben des Dalai Lama von Regisseur Martin Scorsese und «Sieben Jahre in Tibet» mit Brad Pitt in der Rolle des Heinrich Harrer von Regisseur Jean Jacques Annaud seien heute wohl undenkbar, meint PEN. Jenes Jahr markiere einen Wendepunkt in den Beziehungen der Hollywood-Filmindustrie mit China.

In der Tat wurden die Firmen, die die Filme produzierten, als «Bestrafung» für 5 Jahre von allen Geschäftstätigkeiten in China ausgeschlossen. Ein Jahr danach, 1998, reiste der damalige CEO von Disney, Michael Eisner, nach China und entschuldigte sich in vorauseilendem Gehorsam für den Film «Kundun» – um gleich darauf für einen Disney-Themenpark in Shanghai zu verhandeln. Eisner erklärte seinen chinesischen Gastgebern: «Die schlechte Nachricht ist, dass dieser Film produziert wurde, die gute Nachricht die, dass ihn niemand sah.» Und mit grosser Unterwürfigkeit fügte er hinzu: «Hier möchte ich mich entschuldigen, und in der Zukunft werden wir alle solche Dinge verhindern, die unsere Freunde verletzen könnten». Heute, mehr als 20 Jahre danach, ist dieser Film nicht auf der Streaming-Plattform Disney+ abrufbar, und die Frage von PEN, ob er jemals verfügbar gemacht wird, blieb unbeantwortet.

Ähnlich verhielt sich Jean Jacques Annaud, als er 2009 über ein gemeinsames französisch-chinesisches Filmprojekt verhandelte. Auf der chinesischen Platform Weibo sagte er, er hätte “sich nie in einer Organisation oder Vereinigung über Tibet betätigt, nie die tibetische Unabhängigkeit unterstützt, nie privaten Kontakt mit dem Dalai Lama gehabt», und eine Freundschaft mit ihm stünde nicht zur Frage. Wenige Jahre später, 2015, erklärte er allerdings in einem Interview mit der Los Angeles Times, er sei nie aufgefordert worden, sich von «Sieben Jahre in Tibet» zu distanzieren.

Die Selbstzensur ging später weiter. Im Jahr 2016 produzierten Marvel Studios eine Verfilmung des Buches «Doctor Strange» und tauschten die fiktive, aus Tibet stammende Figur «Ancient One» im Buch durch eine Keltin aus, gespielt von Tilda Swindon. Zur Verteidigung gegen Kritik sagte der Verfasser des Drehbuchs, C. Robert Cargill: «Wenn Sie bedenken, dass es sich bei Tibet um eine reale Region handelt und [diese Figur] ein Tibeter ist, riskieren Sie, eine Milliarde Menschen vor den Kopf zu stossen… und die chinesische Regierung könnte sagen «Hey, kennt ihr das Land mit einer der grössten Populationen, die Filme anschaut? Dann zeigen wir euren Film nicht, weil ihr beschlossen habt, politisch zu werden’». PEN entgegnet mit der Frage, was “politischer “ sei, die Geschichte so zu verfilmen wie geschrieben, oder den tibetischen Charakter einfach verschwinden zu lassen. Cargill lasse sich offenbar von Tabus aus Bejing steuern.

Kürzlich meldete sich auch der bekannte chinesische Künstler Ai Weiwei zu Wort. Er hatte einen Dokumentarfilm über die Coronakrise in Wuhan gedreht und diesen bei den den Filmfestivals in Venedig, Toronto und New York eingereicht. Alle lehnten ihn ab. Im Interview mit der NZZ bemerkt er: «Zuerst sind sie begeistert, dass ich Filme über diese Themen gemacht habe. Dann bedauern sie, dass sie keinen Slot dafür mehr frei haben…Da China der grösste Markt der Unterhaltungsindustrie ist, träumt jeder Filmemacher, auch jene aus der Independent-Szene, davon, dort Erfolg zu haben. Das ist wie ein Goldrausch. Niemand kann es sich leisten, China zu verärgern. Das wurde schon vor 15 Jahren ausgekämpft: Wenn ein Festival eine chinesische Delegation einlud und zur selben Zeit einen unabhängigen Regisseur zeigte, sagte die Delegation ab. Die Festivals setzten dann die unabhängigen Regisseure sofort ab.»

PEN befürchtet, die Zensur aus Beijing für das machtvolle Medium von Kinofilmen würde sich in Zukunft noch verstärken, und es sei nun an der Zeit zu handeln, bevor dieses zur Selbstverständlichkeit wird.

International Campaign for Tibet, 6. August 2020, Neue Zürcher Zeitung, e-Paper 23. August 2020 // Dr. Uwe Meya

Foto: PEN America