Im Februar letzten Jahres erreichten Berichte über Proteste gegen den Bau des Kamtok-Staudamms im Osten Tibets das Ausland. Später kamen Aussagen von Betroffenen dazu, die über Nachrichtensperren, Razzien, Verhaftungen und Misshandlungen in Haft berichteten. Jetzt hat BBC mittels umfassender Recherchen und Auswertung von Satellitenaufnahmen den Verlauf von Beginn der Proteste bis zu ihrer Niederschlagung rekonstruiert.
Einzelne Berichte zirkulierten im Februar und März 2024 über Proteste, Verhaftungen und nachfolgende Razzien. Gemäss BBC wurden die Pläne zum Dammbau am Dri Chu Fluss, dem Oberlauf des Yangtze, bereits 2012 genehmigt. Laut der Regierung wurden Bewohner in den Dörfern, die vom Dammbau durch Umsiedlung betroffen sind, vorab konsultiert, und das Projekt würde nur vorangehen, wenn „mindestens 80%“ zustimmten. Informanten der BBC gaben an, sie seien nicht in einer relevanten Weise befragt worden und hätten keine Informationen über Kompensationen infolge Umsiedlung erhalten. Zwei Informanten gaben an, sie seien erst im Februar 2024 durch Regierungskader informiert wurden, die ihnen sagten, sie müssten unverzüglich umziehen. Ein Bericht von 13 UNO-Rapporteuren kam zu den gleichen Schlüssen, dass Betroffene „nicht in einer bedeutsamen Weise“ angehört worden seien. Regierungsstellen hingegen gaben an, es seien Mittel zum Neubau von Behausungen, Zuschüsse für Nomaden und zum Erhalt kultureller Relikte bereitgestellt.
Vom Dammbau betroffen sind mehrere Dörfer und Klöster, darunter das 700 Jahre alte Wontoe-Kloster mit historisch bedeutsamen Wandmalereien.
In dieser Situation entschlossen sich Mönche zu Protesten. Zwei Proteste ereigneten sich parallel: einer vor dem Regierungsgebäude des Bezirks Dege, und ein weiterer im Dorf Xiba, wo Tibeterinnen und Tibeter vor einer Delegation von Regierungskadern niederknieten und mit erhobenen Daumen als traditionelle Geste um den Verzicht auf den Bau baten. Videos davon gelangten in das Ausland.
Die Proteste waren gefolgt von Verhaftungen hunderter Protestierender, Misshandlungen in Haft, Razzien mit Konfiszierung von Mobiltelefonen und einer rigorosen Nachrichtensperre. Viele derjenigen, die aus Tibeter im Exil berichteten, dass zahlreiche ihrer Verwandten in Haft seien oder aus Angst vor Verhaftung nicht kontaktiert werden möchten.
Als Reaktion besuchten Delegationen der Kommunistischen Partei die Region, um „die Notwendigkeit des Dammbaus“ zu erklären und Massnahmen zur „Stabilität“ zu treffen. Auch wurde ein Posten für Sicherheitskräfte im Bezirk Dege genehmigt. Während die Behörden mitteilten, dass Betroffene schon umgesiedelt und kulturelle Relikte gesichert wurden, zeigen Satellitenbilder keine Veränderungen, speziell keine Bautätigkeit. Generell rechtfertigt die Regierung die Notwendigkeit des Dammbaus mit ökologischen Gesichtspunkten, nämlich Energie aus nicht-fossilen Quellen zu erzeugen.
BBC, 23. Dezember 2024 (https://www.bbc.co.uk/news/articles/c1d37zg1549o) // Dr. Uwe Meya
Foto: International Tibet Network