SEM-Asylgutachter erhält Informationen direkt aus Tibet – da kommen Zweifel auf

9. Juli 2021

Berner Experte erhält Informationen direkt aus Tibet und dies schürt Ängste vor chinesischem Einfluss

Lesen Sie hier den Originalbeitrag von Philippe Boeglin, der in La Liberté am 22.06.2021 erschienen ist.

Seit dem Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und China 2014 hat sich die Asylpraxis für tibetische Flüchtlinge deutlich verhärtet und es ist für sie schwieriger geworden, einen festen Status in der Schweiz zu erhalten.

In diesem Zusammenhang sei an den chinafreundlichen Sprachexperten AS19 (Codename) erinnert, der im Oktober 2020 bekannt und dessen Kompetenz in Frage gestellt wurde (mehr Informationen hier).

Schon damals liess die Praxis des SEM Verwunderung entstehen. Jetzt hat Herr Boeglin einen weiteren Fall ans Licht gebracht: der „Spezialist für den Alltag“ TAS09.

„Seit 2013 wird er vom Lingua-Dienst, der mit dem SEM verbunden ist, mit Mandaten betraut. In einer uns vorliegenden schriftlichen Beschreibung gibt das Staatssekretariat für Migration an, dass TAS09 durch seine dort lebende Familie „Informationen über die Verhältnisse vor Ort“ erhält. Darin heisst es, dass der Experte in Tibet in einer tibetisch-chinesischen Umgebung aufgewachsen ist und tibetische Dialekte und Chinesisch spricht“, so im genannten Artikel von Philip Boeglin in La Liberté.

Diese Art der Informationsbeschaffung muss sehr fragwürdig erscheinen, nach all dem, was über Zensur und systematische Überwachung durch das chinesische Regime bekannt ist. Eine Überwachung, die ja sogar bis in die Schweiz reicht, wie unter anderem auch schon in einem Bericht von Boeglin in La Liberté im Juni 2021 publiziert wurde (hier). Und worauf Tibet-Organisationen schon seit Jahren aufmerksam machen (Petition, die von den Tibet-Organisationen und der Gesellschaft für bedrohte Völker und im September 2018). Selbst die Aussenploitische Kommission verlangte in einem Postulat, welches am 15. März 2021 vom Bundesrat angenommen wurde, einen Bericht über die Situation der Tibeter/-innen in der Schweiz zu erstellen. Dabei geht es darum, wie Meinungsäusserungsfreiheit der Tibeter/-innen gewährleistet und sie vor Überwachung durch Exponenten der chinesischen Regierung in der Schweiz geschützt werden können.

„Die Rolle eines solchen Spitzels im tibetischen Kontext ist sehr ambivalent und muss grundsätzlich hinterfragt werden“, so wird Thomas Büchli, Präsident der Gesellschaft Schweizerisch-Tibetische Freundschaft im La Liberté – Artikel zitiert. Und weiter: «Wenn TAS09 ein tibetischer Exilant oder in Tibet ansässig ist, erscheint es mir unvorstellbar, dass er Informationen weitergibt, die nicht von den chinesischen Behörden gefiltert werden. Und wenn er in der tibetischen Exilgemeinde verwurzelt ist, würde er sich unweigerlich wieder durch chinesische Beobachtung bedroht fühlen.»

Auch Nationalrat Nicolas Walder und Nationalrat Jean-Luc Addor äussern Besorgnis darüber, dass das SEM scheinbar unzulängich die Unabhängigkeit seiner Informanten in Bezug auf China überprüft und es ihm auch an Transparenz mangle. Zu wenig kritische Distanz zwischen diesem Spezialisten und der chinesischen Regierung könnte zudem schreckliche Folgen für die Antragsteller und ihre im Land lebenden Familien nach sich ziehen.

Das SEM selbst wähnt allerdings keine Gefahr bei seiner Vorgehensweise.

Foto: La Liberte, Alain Wicht/archives